PARTYREIHE FüR MüTTER: WENN MAMAS TANZEN GEHEN

Schrill schmettert das Intro „Everybody dance now!“ aus den Lautsprechern durch den Club. Der Boden bebt vom Bass und den rund 500 tanzenden Frauen. Sie werfen ihre Arme in die Luft, bewegen die Lippen zum Text, springen auf und ab. Die Tanzfläche ist voll. Eine Nebelmaschine bläst Dampf über die Masse, es riecht nach süßem Alkohol, Parfüm und Schweiß. In der Discokugel flackern bunte Lichter. Es ist kurz nach acht, Samstag, in einem Mainzer Club.

Verantwortlich für die frühe Partystimmung ist die Reihe „Mama geht tanzen“. Das Konzept dahinter: Vergangene Partyzeiten sollen familienfreundlich wieder aufleben, der Alltagsstress soll in lautstarker Musik versinken. Aber eben nicht erst gegen Mitternacht – wenn die meisten Clubs ihre Türen erst öffnen – sondern schon um 20 Uhr. „Tanzen wie früher – nur früher“ lautet das Motto.

Von 20 bis 23 Uhr gehört der Club Frauen und Mamas, die drei Stunden lang durchtanzen können. Mit der Familie zu Abend essen, danach mit Freundinnen tanzen gehen und am nächsten Morgen wieder fit sein, das überzeugt viele. Die Partys finden mittlerweile in mehr als 100 Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz statt. Von Wien bis zur Ostsee, Berlin oder Buxtehude – egal wo, die Veranstaltungen sind meistens ausverkauft.

„Seit ich Mama bin, war ich gar nicht mehr feiern“

An diesem Samstagabend ist die Party zum ersten Mal in Mainz. Auch hier waren Eintrittskarten nach wenigen Stunden weg. An der Abendkasse gibt es enttäuschte Gesichter, Bedauern darüber, dass hier kein spontaner Eintritt möglich ist. Um Viertel nach sieben beginnt der Einlass im Roxy Club. Während andere im Restaurant nebenan in der Abendsonne Pizza essen, stehen die ersten Frauen-Gruppen mit Tickets in der Hand vor dem Eingang. Rund 15 Euro kostet der Eintritt.

An den Security-Männern vorbei bahnt sich eine Gruppe Frauen einen Weg in den abgedunkelten Innenraum und versammelt sich für ein Foto vor einer beleuchteten Wand. „Als Mama war ich fast nie feiern, im Club schon ewig nicht mehr, deshalb ich freue mich richtig“, sagt Caro Baier-Euler strahlend. Sie leitet einen Kursus des Fitnessangebots „Lauf Mama Lauf“ in Wiesbaden und war so begeistert vom Konzept der Partyreihe, dass sie 13 Kursteilnehmerinnen zur Party eingeladen hat, Anfahrt und Getränke inklusive. Eine der Eingeladenen ist Elena, die nur mit ihrem Vornamen genannt werden möchte: „Seit ich Mama bin, war ich gar nicht mehr feiern. Einfach mal wieder tanzen zu gehen, darauf freue mich richtig.“

Die Gruppe prostet sich mit Shots zu und zieht weiter in Richtung Tanzfläche. Um Punkt 20 Uhr ist der Raum bis zum Rand gefüllt, Veranstalterin Marit Pahl zählt von der DJ-Bühne aus von zehn runter, alle rufen laut mit. Bei „drei, zwei, eins, los geht’s!“ strömen auch die letzten Besucherinnen auf die Tanzfläche. Eine Minute später sitzt niemand mehr auf den Ecksofas oder Barhockern – alle tanzen. Es ist kein Aufwärmen nötig, keine Gruppe, die die Tanzfläche mühsam erobern muss. Drei Stunden „Vollgas“ – so lautet der Plan der Veranstalterin. „Die Mama-Partys kann man anknipsen wie einen Lichtschalter.“

Afterwork-Partys zu früh, die Clubnächte zu spät

Gegründet haben die Partyreihe zwei befreundete Mütter, die 28 Jahre alte Anna Schumacher und die acht Jahre ältere Andrea Rücker, an einem verregneten Novembernachmittag im Jahr 2022. „Wir haben darüber geschwärmt, wie wir früher zusammen feiern waren und wie cool das war“, erzählt Schumacher. Das wollten die Freundinnen wieder erleben. „Unsere Kinder waren im Stillalter, haben am besten zwischen 20 Uhr und 24 Uhr geschlafen, danach wurde es unruhig. Also dachten wir: Es wäre perfekt, wenn wir genau in dem Zeitfenster, tanzen gehen könnten.“

Anna Schumacher hatte damals zwei Kinder, nun sind es drei. Der Jüngste wird noch gestillt. Afterwork-Partys waren für sie zu früh, klassische Clubnächte zu spät. „Ich wollte einfach ein paar Stunden ausgiebig tanzen. Und das fehlte,“ sagt Schumacher. Damit war die Idee geboren. Im Januar 2023 organisierten die Freundinnen eine Party in ihrem Heimatort Wuppertal für Mütter im Freundeskreis, aus der Kita oder dem Geburtsvorbereitungskurs. Um die 60 Gäste hatten sie sich erhofft – 270 Frauen kamen. Daraufhin gründeten Schumacher und Rücker die Marke „Mama geht tanzen“ und bauten ihre Social-Media-Kanäle aus; mittlerweile folgen ihnen mehr als 23.000 Menschen auf Instagram.

Der wichtigste Weg, Informationen zu verbreiten, sei aber die Status-Funktion von „Whatsapp“, sagt Schumacher mit einem Augenzwinkern. Nach den ersten Partys in Wuppertal kamen Dutzende von Nachrichten von Frauen, die sich die „Mama Party“ auch in ihrer Stadt wünschten – und sich bereit erklärten mitzuhelfen. Mittlerweile besteht das Team aus 27 Müttern. Von Woche zu Woche werden es mehr, ohne dass die Gründerinnen Frauen anwerben müssen. Die ursprüngliche Idee sei es gar nicht gewesen, eine große Partyreihe zu gründen, sagt Schumacher. Niemals hätten sie mit diesem Zulauf gerechnet. Die regionalen Organisatorinnen veranstalten die Franchise-Partys nebenberuflich und etablieren sich in der sonst männlich dominierten Veranstaltungsbranche.

Auf der Toilette unterhalten sich zwei Frauen am Waschbecken, die Türen dämpfen die Musik: „Wow, ich bin die Lautstärke einfach nicht mehr gewöhnt! Unglaublich, wie wir das früher so oft gemacht haben.“ Auf dem Spiegel über dem Waschbecken steht: „Mama du bist wunderbar.“ Den Gründerinnen geht es um Wertschätzung – von Müttern und Frauen untereinander –, um Zeit für die eigenen Bedürfnisse und mit Freundinnen.

Wenige Männer und die Stimmung „so wohlwollend“

Die meisten Frauen auf der Party sind zwischen Mitte zwanzig und Mitte vierzig Jahre alt, aber auch eine Gruppe Frauen Ende sechzig steht auf einem breiten Podest und tanzt enthusiastisch mit. Viele klassische Ü50-Partys seien eben eher eine Singlebörse, wo es mehr ums Flirten statt Feiern gehe, sagt Schumacher. Der Hype um „Mama geht tanzen“ ist mittlerweile so groß, dass mehrere Veranstalter ähnliche Partys organisieren. Ob „Moms out“, „Mama feiert“ oder „Mutti tanzt“, das Konzept ist nahezu identisch.

Bei nur drei Stunden Zeit muss jeder Hit sitzen. DJane Käry, eine der angesagtesten DJs aus der LGBTQ-Community, spielt einen Partyklassiker nach dem anderen. Bei Backstreet Boys und Nena kocht die Stimmung hoch – bei Tokio Hotel und Deutschrap lassen Textsicherheit und Begeisterung nach. Deichkinds „Krawall und Remmi Demmi“ lässt den Club schnell wieder beben. Besonders geschätzt werden Partyhits, bei denen viele lauthals mitsingen können. So wie bei „It’s raining men“.

Das Einzige, was es an diesem Abend regnet, sind allerdings Glitzerkonfetti und Seifenblasen. Männer sind hier Einzelexemplare – und das ist auch so gewollt. Papas, Elternpaare oder beste Freunde seien willkommen, größere Männergruppen aber nicht. Die Party richtet sich explizit an Mamas und Frauen. „Das Feiern unter Frauen ist ’ne ganz andere Nummer“, sagt Schumacher, „die Stimmung ist so wohlwollend“. Bei den Partys gab es noch nie Schlägereien oder Polizeieinsätze.

Das war richtige Girl-Power-Stimmung

Eine Party ohne Männergruppen sei außerdem ein Safe Space: Kein aufdringliches Flirten, kein Grapschen oder Von-der-Seite-Anpirschen. Keine Frau müsse in der Menge panisch ihr Getränk abdecken, weil sie fürchte, es könne etwas Unerwünschtes hineingetan werden, sagt Schumacher. Manche Frauen fühlten sich nach der Geburt in ihrem Körper noch unwohl, aber auf den Mama-Partys sei ihnen das egal. „Für viele ist das hier einfach die Freiheit auszuflippen, wie sie wollen, ohne das Gefühl, beobachtet zu werden.“

Eine Influencerin, die sexistische Klischees anprangert, kritisiert „Mama geht tanzen“ auf ihrem Kanal. Dabei geht es weniger um die Party an sich, sondern um den Namen und das Marketing. Das verstärke patriarchale Rollenbilder nach dem Motto „Mutti“ bekomme als Hausfrau mal drei Stunden Ausgang und müsse dann mor­gens wieder fit sein, um Kinder und Haushalt zu meistern. Doch darum gehe es gar nicht, sagt Schumacher. „Wenn ich bis sechs Uhr morgens feiern will, dann mache ich das.“ Aber Kinder nähmen nun mal keine Rücksicht auf Uhrzeiten und Schlafmangel der Eltern. Als Mutter eines Babys, das gestillt werden müsse, sei sie, wie viele, komplett von dessen Bedürfnissen abhängig, eine Nacht im Club lasse sich kaum im Tagesrhythmus unterbringen.

Gegen 23 Uhr spielt DJane Käry die ersten Rausschmeißer, ein gutes Drittel der Besucherinnen verlässt den Club pünktlich. Zwei Frauen drehen Pirouetten auf dem Weg zum Ausgang. Elena sitzt auf einer der Lederbänke am Rand der Tanzfläche, um zu verschnaufen. Auch ihr Partyabend neigt sich dem Ende zu. „Das war richtige Girl-Power-Stimmung – aber drei Stunden durchtanzen können wir nicht mehr.“ Diejenigen, die gerade richtig in Fahrt gekommen sind, dürfen aber noch bleiben, bis der Club schließt. Um kurz nach elf dröhnt es aus den Lautsprechern: „Ich will noch nicht geh’n, ich will noch ’n bisschen tanzen.“

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