GEORG FRIEDRICH HäNDELS „GIULIO CESARE“ IN FRANKFURT

Die Oper Frankfurt setzt eine eigene Premiere genau zur Zeit der großen Osterfestspiele in Baden-Baden, Berlin und Salzburg an. Das kann ein Zeichen von Kleinmut oder von Mut sein. Kleinmut, wenn man sich ohnehin nur eine regionale Ausstrahlung zutraute und damit rechnete, dass das eigene Publikum sich für die internationale Opernwelt gar nicht interessierte. Mut aber, wenn man sich in Frankfurt sagte: Da können wir mitbieten, wir stellen uns dieser Konkurrenz.

Schaut man sich die Frankfurter Besetzung für Georg Friedrich Händels „Giulio Cesare in Egitto“ an, muss man sagen: Der Intendant Bernd Loebe weiß, was sein Haus wert ist – hier wird in der europäischen Spitzenliga gespielt. Der amerikanische Countertenor Lawrence Zazzo als Giulio Cesare ist in Tokio ebenso gefragt wie bei den Salzburger Festspielen; die südafrikanische Sopranistin Pretty Yende, neuer Darling der Phonoindustrie und auf den teuersten Bühnen Europas engagiert, wurde einem weltweiten Publikum zum Begriff, als sie 2023 zur Krönung von König Charles III. in London sang.

Doch in Frankfurt sind die Stars nicht die Oper, hier ist das Ensemble der Star, und das Theater mehr als teurer Gesang. Das spürt man auch bei diesem „Julius Cäsar in Ägypten“. Die Regisseurin Nadja Loschky widersteht der Versuchung, der gegenwärtig viele Zeitgenossen nach­geben, Händels Oper zur Farce zu verstümmeln und die affektive Überdrehung der Figuren für eine pointen­reiche Klamotte zu nutzen. Sie beschreibt vielmehr das missbräuchliche Verhältnis zweier sadistischer Machtmenschen – Cesare und Tolomeo – zu Frauen, Kindern und Untergebenen. Die beiden konkurrieren zwar um die Herrschaft nach dem Schwarz-Weiß-Prinzip der Kostüme von Irina Spreckelmeyer, aber Cesare und Curio foltern den Konkurrenten Tolomeo in der Badewanne ebenso bestialisch, wie Tolomeo selbst mit Cornelia und Sesto, der Frau und dem Sohn von Pompeo, umgeht, dem er den Kopf abschlagen ließ. Zwar verorten die Kostüme und das ebenso sims- wie büstenreiche Bühnenbild von Etienne Pluss die Geschichte im Irgendwo und Irgendwann, aber die schwarzen Trachten der Cäsar-Bande erinnern deutlich an Benito Mussolini und dessen faschistische Follower um 1922.

Dem Publikum wird an Blut, Tränen und Erbrochenem einiges zugemutet, was nicht alle ungerührt ertragen. Allerdings muss man einräumen, dass der Originaltext von Nicola Francesco Haym aus dem Jahr 1724 eben voll davon ist. Beeindruckend in ihrer psychologischen Genauigkeit ist die Szene durchgearbeitet, in der Tolomeo – den Nils Wanderer in dekadenter Brutalität als Weichling und Pitbull in einem anlegt – zuerst Cornelia vergewaltigen will und dann von deren Sohn Sesto abgestochen wird. Diese Gewalterfahrung traumatisiert Mutter und Sohn derart stark, dass sie vor­einander Angst bekommen und in ihrer grundsätzlichen Verstörung wohl ihres Lebens so schnell nicht wieder froh werden, auch wenn sie von Befreiung singen.

Wanderer gestaltet seine Doppelnatur als effeminierter Lüstling und pure Bestie auch vokal, wenn er bei den Kolo­raturen immer wieder aus der brillanten Farbe des Countertenors ins brünstige Röhren seines natürlichen Baritons abstürzt. Zazzo erreicht den gestalterischen Gipfel seines Singens, als er im zweiten Akt, auf dem Rücken liegend, bebend, atemlos zitternd vor Begehren, dem verführerischen Gesang Cleopatras antwortet. Doch kann er nicht verbergen, dass er sich durch die schnellen Koloraturen seiner Bravourarien mehr oder minder durchschummelt. Echte Kehlfertigkeit klingt anders.

Pretty Yende, die viel Händel, Mozart und Rossini gesungen hat, jetzt aber vermehrt die Partien des mittleren Verdi angeht, verfügt über diese geläufige Gurgel bei brillanten Koloraturen durchaus. Und sie singt feurige, herrlich sprechintensive Rezitative. Einzig in den lyrischen Momenten spürt man Schwierigkeiten im Übergang zwischen der Mischstimme und der Kopfstimme. Dann werden sämtliche Töne im oberen Bereich der zweigestrichenen Oktave unsauber. Stimmbildnerische Nacharbeit wäre da ab und an zu erwägen.

Der Schlussapplaus zeigt, wie gut das Frankfurter Publikum inzwischen geschult ist, Stimmen zu beurteilen. Den meisten Jubel bekommen nicht die Stars, sondern – völlig zu Recht – Cláudia Ribas als Cornelia, Bianca Andrew als Sesto und Iurii Iushkevich als Nireno. Alle drei singen timbral verführerisch, technisch beeindruckend sicher und zugleich hoch infektiös, was die Kraft der Affekte angeht. Jarrett Porter als Curio und Božidar Smiljanić runden diese Ensembleleistung mit Wohlklang und Präzision ab.

Etwas schüchtern wirkt das Musizieren der historisch informierten Spezialkräfte vom Frankfurter Opern- und Museums­orchester unter der Leitung von Simone di Felice. Die untergründigen Wellen des Schmerzes und das Stöhnen der Fagotte in Cleopatras Arie „Se pietà di me non senti“ kann man – Nikolaus Harnoncourt bewies es 1985 – eindringlicher herausarbeiten. Aber der zarte Zauber des Fernorchesters zu Cleopatras Circenzinnober bei „V’adoro pupille“ verfängt in Frankfurt aufs Schönste.

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