COUNTRYMUSIK: EIN "YEEHAW" MIT GERECKTER FAUST

Country gilt vielen als weißer Beitrag zur Popkultur. Dabei wurzelt das Genre in Schwarzer Musikgeschichte. Das Countryalbum von Beyoncé könnte dieses Bild geraderücken.

Schwarze Künstler und Countrymusik: Das ist die Geschichte einer komplizierten Liebe. Wie viele Demütigungen mussten Schwarze Sängerinnen und Sänger, die sich in das angeblich weißes Genre wagten, schon hinnehmen? Selbst der große Ray Charles, der von seinem Klassiker Modern Sounds in Country and Western Music Millionen Tonträger verkaufte, wurde erst ein halbes Jahrhundert nach dessen Veröffentlichung in die Country Music Hall of Fame aufgenommen.

Andere Künstler kamen gar nicht so weit. Der Schwarze Countrysänger Cleve Francis etwa kehrte Mitte der Neunzigerjahre, frustriert von seiner Außenseiterrolle in Nashville, in die Kardiologie-Praxis zurück, in der er vor seiner Musikkarriere gearbeitet hatte. Der soulman Bobby Womack wurde, nachdem er 1976 seine liebsten Countrysongs aufgenommen hatte, vom Countryradio ignoriert und von seiner Plattenfirma gefeuert.

Auch James Brown stieß an unsichtbare Grenzen: Als er 1977 auf Einladung seines Freundes Porter Wagoner in Nashville vor seinem üblichen Set ein Countrymedley spielte, reagierte das Publikum eisig. "Ich fühle mich so geehrt", sagte Brown später, "wie ein weißer Mann, der in eine Schwarze Kirche geht und hundert Dollar in die Kollekte gibt".

Countrymusik sollte für Schwarze US-Amerikaner, insbesondere aber Schwarze US-Amerikanerinnen, noch lange vermintes Terrain bleiben. Doch nun  – Trommelwirbel, Banjo und Fidel – reitet der Superstar Beyoncé in die Arena ein. Als erste Schwarze Frau überhaupt besetzt sie die Spitze der US-amerikanischen Countrycharts. Texas Hold 'Em heißt der Song, der gleichzeitig auch noch die Pop-Charts anführt. Die Festung der sehr weißen, sehr männlichen "Bible and a gun"-Traditionalisten im Country wackelt dank Outlaws und queerer Countrykünstlerinnen wie The Highwomen schon länger. Ausgerechnet Beyoncé, die Galionsfigur des zeitgenössischen R’n’B, könnte nun noch die letzten Schranken einreißen.

Das liegt natürlich (auch) an der Musik. Der stampfende, von einem Banjo getriebene Beat von Texas Hold 'Em, der eingängige Refrain und zitatwürdige Zeilen wie "It’s real-life boogie and a real-life hoedown" sind wie zugeschnitten für die Generation TikTok. Aber anders als etwa der Song Old Town Road, der vor fünf Jahren dem Schwarzen, schwulen Rapper Lil Nas X im Duett mit dem Redneck-Sänger Billy Ray Cyrus einen Crossover-Hit zwischen Trap und Country bescherte, dürfte Texas Hold 'Em auch Fans von Oldtime-Country ansprechen. Beyoncé wildert nicht auf fremdem Terrain, wie es ihr manch konservativer Kritiker unterstellt, sondern bespielt ihren texanischen hometurf. Und sie bringt ihre 319 Millionen Instagram-Follower mit. Dagegen sind selbst die härtesten Türsteher machtlos.  

Texas Hold 'Em und Beyoncés zweite, nun ebenfalls in den Countrycharts vertretene Single 16 Carriages waren Vorboten ihres nun erscheinenden Albums Cowboy Carter. Hat Beyoncé beschlossen, sich zur Anwältin aller vergessenen Helden der Schwarzen US-amerikanischen Musikgeschichte zu machen? Ihre letzten Alben zumindest legen das nahe. Renaissance von 2022 hatte sie als Hommage an die Ursprünge Schwarzer Club-Kultur konzipiert, Cowboy Carter folgt nun als Act 2 einer geplanten Album-Trilogie. Ist das die Revanche für Ray Charles, James Brown und Bobby Womack? Kann ein einzelner Popstar all die Schwarzen Countrysängerinnen und -sänger rehabilitieren, die übersehen, verleugnet, um Plattenverträge und Auftrittsmöglichkeiten gebracht wurden?

Nach allem, was man bisher liest, wird Beyoncé auf dem Album (das bis zur Veröffentlichung niemand zu hören bekommt) ihre Familiengeschichte erzählen, eine Geschichte, die sie mit vielen Afroamerikanerinnen teilt. Zart klingt sie, wenn sie in der Ballade 16 Carriages zu weinenden Gitarren ihre Kindheit im tiefen Süden beschwört. Ihre Wurzeln liegen in Houston, Texas, wo man bei Barbecue-Partys neben Blues und Soul oft auch Country hört, wo man mit der Familie Rodeos besucht, wo Cowboystiefel und Stetson-Hüte Teil der Regionalidentität sind. "I am going back to the South / Where my roots ain’t watered down", sang sie bereits 2020 in Black Parade, ihrer Hymne für die Black-Lives-Matter-Bewegung.

Seit jeher tritt Beyoncé immer wieder bei Rodeos auf, ihre Modelinie Ivy Park hat Kleider in urbanisierter Western-Ästhetik im Programm. Und als sie 2016 ihr Album Lemonade veröffentlichte, hielten viele Kritiker das deutlich Country-inspirierte Stück Daddy Lessons für den stärksten Song der Platte. Die Recording Academy, die jährlich die Grammys verleiht, sollte ihn zwar nicht zu den Countrygrammys zulassen, doch verschaffte er Beyoncé immerhin – zusammen mit den Dixie Chicks – einen Auftritt in der legendären Grand Ole Opry in Nashville. Offensichtlich hat Beyoncé der Gegenwind von konservativen Country-Fans erst recht motiviert.

Lange tickte der Countrymainstream rassistisch. Selbst Charley Pride, ein Superstar des Genres, der als einer von sehr wenigen Schwarzen Musikern in das Establishment von Nashville vorgedrungen war, musste Kompromisse schließen. Um seine erste Single The Snakes Crawl at Night zu bewerben, verzichtete seine Plattenfirma im Jahr 1966 auf das sonst übliche Porträtfoto. Der Sänger präsentierte sich bei Konzerten scherzhaft als "brother with a heavy tan". Darius Rucker, dem ins Countryfach gewechselten Schwarzen Sänger der Rockband Hootie and the Blowfish, erklärten Mitte der Achtzigerjahre "weiße" Radiostationen, das Publikum werde keinen Schwarzen Countrysänger akzeptieren. Selbst Beyoncés Texas Hold 'Em wurde von einem Countrysender in Oklahoma erst einmal boykottiert – bis die Verantwortlichen nach einem Donnerwetter von Beyoncés Fans kleinlaut zurückruderten.

Noch immer wissen viel zu wenige Countryhörer, dass das Genre Schwarze Wurzeln hat. Mit dem Banjo könnte man beginnen: Das Instrument ist ein Import, den Schwarze Sklaven aus Westafrika mit nach Nordamerika gebracht hatten. Seit dem 17. Jahrhundert diente das Banjo den Sklaven, um eine Gemeinschaft unter sich und eine spirituelle Verbindung zum Mutterland herzustellen. Auf Texas Hold 'Em spielt es Rhiannon Giddens, eine mit dem Grammy- und Pulitzer-Preis ausgezeichnete Schwarze Folkmusikerin aus North Carolina. Giddens sagt, sie habe es sich zur Aufgabe gemacht, vergessenen Schwarzen Musikpionieren ein Denkmal zu setzen.

Mit der Zeit gelangte das Banjo in die Hände weißer Musiker, prägte nach Jazz und Bluegrass den Country. Schwarze Stringbands unterhielten bis in die 1920er-Jahre hinein regelmäßig die Feste reicher, weißer Südstaatler. "Von allen ethnischen Gruppen", schreibt der Autor Bill C. Malone im Standardwerk Country Music USA, "hat keine eine bedeutendere Rolle gespielt, Countrymusikern Songmaterial und Stile zu liefern, als die aus Afrika verschleppten Sklaven." Countryheilige wie Hank Williams und A.P. Carter stützen Malones These: Sie hatten ihr Handwerk von Schwarzen Bluesmännern gelernt. Andersherum mauserten sich Songs von Blues- und Soulkünstlern wie Leadbelly oder Jerry Williams Junior zu Countrystandards.

Erst die Plattenindustrie und ihre Vermarktungslogik sollte die Musik auseinanderdividieren: Rhythm’n‘Blues oder die sogenannte Race Music waren für die Schwarzen US-Amerikaner bestimmt, Country für die weißen. Das hatte zur Folge, dass Airplay und Plattenverträge seit den 1920er-Jahren auch immer von der Hautfarbe abhingen. Vielen Künstlern blieben nur Schleichwege: Schwarze Musiker, die offiziell als Soulsänger firmierten, nahmen undercover Countrysongs auf. Die Pointer Sisters und Al Green, Donna Summer und Lionel Richie, Solomon Burke und Tina Turner gehören zu ihnen. Gerade die urbane Spielart des Country adaptierte auf diese Weise viele Elemente, die früher noch eindeutig als Rhythm’n‘Blues galten.

Die strenge Trennung zwischen "Schwarzen" und "weißen" Stilen war immer schon Unfug, die Reklamierung der Countrykultur durch weiße US-Amerikaner ist es ebenso. "Viele haben vergessen, dass ein Großteil der Cowboys Schwarze waren", schreibt auch die US-amerikanische Autorin und Professorin Alice Randall. Beyoncés Countrysongs und ihre von Pharrell Williams entworfenen Cowgirl-Outfits leisten auch hier Nachhilfe; die Yeehaw Agenda, eine Internet-Community, die Schwarze Cowboy-Traditionen in der Mode und Musik propagiert, tut das schon seit Jahren.

Mit ihrem Album generiert Beyoncé jetzt schon Aufmerksamkeit für ihre Schwestern, die seit Langem im medialen Abseits agieren. Da wäre etwa Linda Martell, die 1969 als erste Schwarze Countrysängerin in der Grand Ole Opry auftrat: Auf Cowboy Carter tritt die lange vergessene Künstlerin nun als Featuregast auf. Und da wären Martells zeitgenössische Nachfolgerinnen wie Rissi Palmer, Mickey Guyton oder Brittney Spencer, die nun endlich ein breiteres Publikum entdecken dürfte. Immerhin publizieren Zeitungen und Countrysender auf einmal Ten-black-country-female-artists-to-watch-Listen. Das mächtige Country Music Television bemüht sich mit einem Next-Women-of-Country-Programm um mehr Inklusion Schwarzer Frauen. Ab sofort schwingen zwischen Banjo und Fiddle auch immer deutlichere Protesttöne mit.

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