»BRAVO HITS«: AUSGABE 125 ERSCHIENEN – WAS DIE REIHE SO UNVERWüSTLICH UND ERFOLGREICH MACHT

Die neue »Bravo Hits« ist draußen und alles spricht dafür, dass auch Ausgabe 125 die Chartspitze erobert, wie schon 122 ihrer Vorgänger. Über ein CD-Phänomen, das viele Menschen vor allem eines spüren lässt: ihr Alter.

Es ist die Nacht auf Ostersonntag, als im Düsseldorfer Musikklub Tor 3 die Neunziger- und Nullerjahre auferstehen. »All that she wants« von Ace of Base geht da in »Coco Jamboo« von Mr. President über, dann folgt schmerzfrei »Hamma!« von Culcha Candela aus dem Jahr 2007. Es ist ein wilder Mix aus Charthits, Diskonebel, Lasern und Stroboskoplicht – und eine offizielle »Bravo Hits«-Party. Eindeutiger als die Musikauswahl verrät das eine Fotowand mit dem ikonischen, von links oben nach rechts unten abfallenden »Bravo Hits«-Schriftzug sowie Karikaturen von Lady Gaga, Beyoncé, Robbie Williams und dem Captain-Jack-Frontmann.

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Auch wenn es nicht die bestbesuchte Fete des Tor 3 sein mag: Als Teil einer städteübergreifenden Eventreihe beweist sie, dass die Marke »Bravo Hits« auch im Jahr 2024 noch Menschen bewegt. Wenngleich es inzwischen primär Leute sind, die beim Party-Slogan »Feier deine Jugend« an »Cotton Eye Joe« von Rednex denken oder an »Everybody« von den Backstreet Boys. An Mitgröl-Hits, wie sie der DJ hier in Düsseldorf auflegt, teils mit Ansage, wann der richtige Moment ist, um vor dem Refrain Luft zu holen. Man wird nicht jünger.

Das Thema Alter ist für viele Menschen eng mit der Marke »Bravo Hits« verbunden, die – für Leserinnen und Leser unter 30 sei das vorsichtshalber erklärt – hauptsächlich für eine 1992 gestartete CD-Reihe steht. (Was CDs sind, bitte selbst googeln oder hier auf TikTok anschauen).

Gefühlt seit Tag eins der Social-Media-Ära gibt es Nutzerinnen und Nutzer, die sich und andere an ihre Vergänglichkeit erinnern, indem sie die Nummer der neuesten, vierteljährlich erscheinenden »Bravo Hits« posten. Im Jahr 2010 ging es dabei noch um die Nummer 70. Später folgten unzählige Posts wie »Nie fühle ich mich so alt, wie wenn die ›Bravo Hits‹-Werbung kommt. Nr. 85. Fünfundachtzig!« oder »Es gibt mittlerweile ›Bravo Hits 109‹?? EINHUNDERTNEUN?!? Wie alt bin ich?? 1000?«.

Diesen Freitag ist nun Ausgabe 125 erschienen, mit Songs etwa von Justin Timberlake, Ariana Grande, Jason Derulo und Michael Bublé.

Vier Maxi-CDs oder doch eine Compilation?

Den Musikgeschmack der Massen mitgeprägt hat die »Bravo Hits« vor allem um die Jahrtausendwende herum. Ihre Fangemeinde reichte damals weit über die Kernzielgruppe der Jugendzeitschrift »Bravo« hinaus, deren verkaufte Auflage heutzutage nur noch fünf- statt wie zu ihren Bestzeiten siebenstellig ist.

Junge wie ältere CD-Käufer standen einst oft vor der Abwägung: Gebe ich zehn Mark oder später fünf Euro für eine Maxi-CD aus? Oder 30 bis 40 Mark für eine »Bravo Hits« mit knapp 40 Stücken, von denen ich vielleicht die Hälfte mag oder kenne?

Musikstreaming-Flatrates haben das Leben in dieser Hinsicht leichter gemacht, wie zuvor schon Dienste wie Napster oder iTunes. Wer die »Bravo Hits« heute über das Internet hören will, findet sie sogar bei Spotify. Dort lassen sich sämtliche Ausgaben abrufen, in Form leider nicht immer vollständiger, aber trotzdem offizieller Playlists.

754 Wochen an der Chartspitze

In Relation zum übrigen CD-Markt ist die physische Variante der »Bravo Hits« nichtsdestotrotz geradezu absurd erfolgreich, bis heute. Wie das Marktforschungsunternehmen GfK Entertainment dem SPIEGEL vorrechnet, standen die bisherigen 124 regulären »Bravo Hits«-Ausgaben insgesamt 2695 Wochen in den deutschen Compilation-Charts, davon 754 Wochen lang an der Spitze (Stand Anfang April). Zählt man Ableger wie die »Bravo Black Hits« mit, ergeben sich 4355 Platzierungen. Auf Platz eins der Charts haben es bisher alle Ausgaben der Hauptreihe geschafft, mit Ausnahme von Folge eins und zwei.

Die Compilation-Jahrescharts dominierten die »Bravo Hits« im Jahr 2023 sogar dermaßen, dass sie dort die Plätze eins bis fünf einnahmen. Zur Realität gehört aber auch: Was die tatsächlichen Verkaufszahlen angeht, ist die Reihe mutmaßlich nur noch ein Schatten alter Größe. Beispielhaft sei hier die Ausgabe 26 aus dem Jahr 1999 erwähnt, mit Lou Begas »Mambo No. 5« als prestigeträchtigem ersten Track auf CD 1. Allein sie hat sich laut Medienberichten fast zwei Millionen Mal verkauft.

Heute geben die Macher der Reihe trotz mehrfacher Nachfrage nicht einmal grobe Verkaufszahlen preis, und für Compilations existieren auch keine Schätzungen erleichternden Gold- oder Platin-Auszeichnungen. 2018, zur Ausgabe 100, stellte die »Stuttgarter Zeitung« die Zahl von noch etwa einer Million übers Jahr abgesetzten »Bravo Hits« in den Raum, die zum Jahresende erscheinende »Best of«-Ausgabe mit eingerechnet. Die Bauer Media Group wollte auch diese Zahl auf SPIEGEL-Anfrage nicht kommentieren. Sie mache keine Verkaufszahlen öffentlich.

Unstrittig ist jedoch: Allgemein geht es abwärts für die CD. 2023 hatten CD-Alben am gesamten Musikverkaufsumsatz nur noch einen Anteil von 11,3 Prozent. Und schon 2022 wurden in Deutschland überhaupt nur noch 19,4 Millionen CDs verkauft. Fünf Jahre zuvor, als die Ausgabe 100 erschien, waren es noch mehr als doppelt so viele gewesen.

Lukrativ dürfte das Geschäft mit den »Bravo Hits« aber nach wie vor sein. Andernfalls wären neben der Bauer Media Group mit Warner Music, Sony Music und Universal Music wohl nicht alle drei Majorlabels an dem Projekt beteiligt, wie es seit 2017 der Fall ist.

Das Konzept hat sich nicht groß geändert

Zu denjenigen, die das Erfolgsformat groß gemacht haben, zählt Thomas Schenk. Der bekennende Bruce-Springsteen-Fan, der oft als Erfinder der Reihe tituliert wird, ist seit 2013 im Ruhestand. Dem SPIEGEL sagt Schenk, »ein Gespür für Hits und ein hervorragendes Marketing« hielten die Marke jung – wenngleich er vermutet, dass die Menschen, die den »Bravo Hits« emotional am nächsten stehen, heute 40 bis 60 Jahre alt sind. Er denke da unter anderem an »Menschen, die zur besten Zeit der ›Bravo Hits‹ noch zur Schule gegangen sind«, erläutert Schenk. »Damals ging es nicht nur darum, ob man die ›Bravo Hits‹ besitzt, sondern auch darum, wie schnell man sie besitzt.«

Bei Universal Music für die Reihe zuständig ist Sultan Alkan. Die Managerin ist seit Ausgabe 20 dabei und so, wie sie es skizziert, hat sich beim Zusammenstellen über die Jahre nicht allzu viel verändert – abgesehen davon, dass heutige Songs tendenziell kürzer sind, wodurch mehr Lieder auf die CDs passen. Im Vordergrund stünden die Hits, sagt Alkan dem SPIEGEL: »Popularität entscheidet, Genres sind eher sekundär.«

Ein wichtiger Gradmesser seien Charterfolge. Relevant sei dabei heute eine Kombination aus den Streaming- und Airplay-Charts sowie den offiziellen Single-Charts, sagt Alkan: »Da die jeweiligen Ausgaben über einen längeren Zeitraum aktuell sein müssen, besteht ein wichtiger Teil unserer Arbeit darin, ein Gespür für die potenziellen Hits der kommenden zwei, vier oder zehn Wochen zu entwickeln.«

Als Download? Oder als Telefon-Chip?

Mittlerweile umfasse das Geschäft mit der Marke auch »themenspezifische Party-Compilations«, sagt Alkan. Im Mai etwa werde »aufgrund der großen Nachfrage« eine zweite Folge des Ablegers »Bravo Hits Party 90er« erscheinen. Auch Siebziger-, Achtziger- und Nullerjahre-Sondereditionen gibt es bereits.

Thomas Schenk betont, das große Interesse an Compilations sei schon früher ein deutsches Phänomen gewesen. Über die Langlebigkeit der Reihe auf CD sei er »erstaunt«. Dabei hatte Schenk schon 2003 in einem Interview getippt, dass es die Serie zumindest 2013 noch geben würde, »in welcher Form auch immer: als Download, Telefon-Chip oder als Spezial-Auflage als CD für Sammler.«

Jetzt, 21 Jahre später, erzählt Schenk, dass er selbst keinen CD-Player mehr besitze – und dass der einzige »Bravo«-Tonträger bei ihm zu Hause eine LP namens »Bravo Rock Christmas« sei.

Manche Fans besitzen alle CDs

Im Netz kann man der Fangemeinde auf Facebook nachspüren. Dort hat eine »Bravo Hits«-Seite mit 11.361 fast zehnmal so viele Follower wie auf Instagram. Diskutiert wird hier unter anderem der Preis der neuesten CD, der bei 22 Euro liegt, für 50 Songs. Zur Serie an sich kommentiert jemand: »Bei 150 könnte dann Schluss sein«. Woraufhin eine Nutzerin mit Katzen-Profilbild antwortet: »Nein, bitte nicht.«

Ein echter Fan des Formats lässt sich in der Osternacht auch auf der Tanzfläche des Tor 3 finden. Mit den »Bravo Hits« verbinde sie ihre Jugend, erzählte die Düsseldorfer Verkaufsleiterin Jessica dem SPIEGEL. Dank ihrer Eltern sei sie bereits seit der Erstausgabe ein Fan. Inzwischen habe sie die Reihe auch ihren Kindern nahegebracht, obwohl diese Musik lieber über Streamingdienste als CDs konsumierten.

Sie selbst dagegen höre ihre »Bravo Hits« klassisch, per CD-Player, sagte die 38-Jährige. Sie habe alle 124 Ausgaben im Keller stehen – und für diese Sammlung werde auch Nummer 125 gekauft. Am liebsten höre sie aber die alten Ausgaben: »An deren Liedern hängen viele schöne Erinnerungen.«

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