TOURISMUS-EXPERTE üBER NACHHALTIGKEIT - „BEIM REISEN SIND WIR DEUTSCHEN SCHIZOPHREN. WIR MüSSEN ECHT UNSER HIRN ANSCHALTEN“

Fluten, Hitze und Brände in Südeuropa sind auch Folgen des Klimawandels. Wird sich deswegen das Reiseverhalten der Deutschen verändern? Nein, meint der Tourismus-Experte Jürgen Schmude. Bis das Reisen nachhaltig wird, muss noch einiges geschehen - vor allem, weil die Deutschen beim Urlaub nicht an den Klimawandel denken wollen. 

FOCUS online Earth: Herr Schmude, der Klimawandel hat auch Einfluss auf unseren Urlaub. Letzten Sommer litten beliebte Urlaubsinseln in Südeuropa unter Fluten oder Waldbränden. Wie wird sich das Reiseverhalten der Deutschen bis 2050 weiter verändern?

Jürgen Schmude: Reisen ist und bleibt ein Grundbedürfnis. Reisen steht bei den Deutschen bei den Konsumprioritäten sogar noch vor dem Auto. Selbst in der Corona-Pandemie sind die Deutschen gereist, wenn auch anders. Also auch in Zeiten des Klimawandels wird das Reisen ein stabiles Bedürfnis bleiben, das in Zukunft eine Rolle spielt. Auch wenn es letztes Jahr einige Extremwetterereignisse auf südeuropäischen Inseln gab, werden Spanien und Italien weiterhin an der Spitze der deutschen Reiseziele stehen.

Also wird der Klimawandel oder der Klimaschutz unser Reiseverhalten nicht beeinflussen?

Schmude: Der Klimawandel wird das Reiseverhalten nur marginal verändern, solche Veränderungen der Reiseströme sind sehr, sehr träge. Die Forschung hat vielmehr herausgefunden, dass die veränderte Demografie das Reiseverhalten stärker beeinflusst. Denn: Mehr ältere Menschen lassen den Kulturtourismus wachsen. 

Was die Nachhaltigkeit beim Reisen angeht, verhalten wir uns schizophren. Im Alltag haben wir ein viel größeres Bewusstsein für Nachhaltigkeit als im Urlaub, weil das ja „die schönsten Wochen des Jahres“ sind, da wollen wir nicht unbedingt mit dem Thema konfrontiert werden. Im Alltag trennen wir alle möglichen Glassorten, aber im Urlaub steigen wir trotzdem in den Flieger. Urlaub ist wichtig, aber wir müssen endlich bei unserem Reiseverhalten unser Hirn einschalten. 

Klingt, als ob Sie die Doppelmoral im Urlaub nicht gutheißen würden …

Schmude: Nein, ich will das grundsätzlich gar nicht niedermachen. Urlaub ist eine wunderbare Sache, sowohl für die Bürger als auch für die Wirtschaft in den Reiseorten. Es ist nur wichtig, dass den Menschen bewusst wird, wie groß ihr „Reisefußabdruck“ wirklich ist und dass es nicht jedes Jahr eine Fernreise sein muss oder es Alternativen zu gewissen Flügen gibt. Ein kleiner Teil der Deutschen achtet bereits auf ökologischeren Transport, wie zum Beispiel Nachtzüge. 

Außerdem muss viel mehr auf Seiten der Anbieter passieren. Wir können nicht warten, bis die Nachfrage nur noch Ökologie-getrieben ist. Es braucht nachhaltigere Unterkünfte und vor allem klimaneutrale Transportmöglichkeiten. Schließlich entfallen 50 bis 80 Prozent der Emissionen beim Reisen auf den Transport. 

Ein klassisches Beispiel: Skitourismus. Die Skigebiete leiden mehr als offensichtlich unter dem Klimawandel, da wird sich der Skiurlaub in den nächsten Jahren immer mehr verändern. Die Schneekanonen sind dabei gar nicht so sehr das Problem, sondern die Urlauber, die mal eben jedes zweite Wochenende mit dem Auto in die Alpen fahren und Ski fahren. Stattdessen lieber einmal hin- und zurückfahren und dann eine Woche am Stück bleiben. Oder mit dem Zug fahren. Damit ist schon viel getan. 

Worauf sollten die Deutschen bei der Urlaubsplanung denn achten, damit das Reisen so umwelt- und klimafreundlich wie möglich ist?

Schmude: Bei der Unterkunftsauswahl kann man auf regionale Küche achten oder auf die Wassersparmaßnahmen. Beim Kernproblem Verkehr kann man versuchen, entweder mit Nachtzügen, E-Autos oder mit Reisebussen zum Urlaubszielort zu gelangen. Wenn man schon nach Australien fliegt, dann bitte nicht nur für zwei Wochen, sondern gerne ein längerer Aufenthalt. Bei den viel besuchten Orten darauf achten, dass man die Umwelt nicht aus Versehen oder mutwillig zerstört. Einige Destinationen versuchen bereits, die Auswirkungen des „Overtourism“ einzudämmen. Aber per se gibt es beim Reisen keine perfekte nachhaltige Variante, wir können nur versuchen, so nah wie möglich daran zu kommen. 

Manche Segmente der Reisebranche sind von der Nachhaltigkeit allerdings weiter weg als andere. Stichwort: Kreuzfahrten. Wie viel Hoffnungen haben Sie für die Kreuzfahrtbranche, dass es bald klimafreundliche Touren gibt?

Schmude: Und wieder: Wir verhalten uns beim Urlaub auf Kreuzfahrten echt schizophren. Wir haben knapp zwei Millionen Kreuzfahrer und Kreuzfahrerinnen in Deutschland. Kreuzfahrten sind eine Erfolgsgeschichte seit mehr als 20 Jahren, obwohl so vielen bewusst ist, was für einen negativen Einfluss die mit Schweröl betriebenen Giganten für Klima und Umwelt haben. 

Aber das Schiff bietet eben alle Bedürfnisse: Sicherer geschützter Raum, alles wird organisiert, All-inclusive-Angebote und viele Freizeitaktivitäten. Viele Urlauber verlassen in den Häfen ja nicht einmal mehr die Schiffe, sondern schauen auf den Hafen und sagen „Jup, jetzt war ich mal hier“.

Bei den Kreuzfahrten ist meine Hoffnung nicht so groß, dass es bald klimafreundlicher wird. Der Lebenszyklus von den Kreuzfahrtschiffen ist auch sehr lang, so leicht lassen die sich leider nicht auf erneuerbare Antriebe umbauen. Dann braucht es auch die Tankstellen für Kreuzfahrtschiffe in jedem Hafen. Die ganze Transformation dauert sicherlich noch Jahrzehnte. 

Ich kann mich nur wiederholen: Reisen ja, unbedingt. Aber bitte ein wenig nachdenken.

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