DIE WELT KOMMT NACH MALMö – UND JUDEN FLIEHEN AUS DER STADT

Der Eurovision Song Contest in Malmö heizt die antisemitische Stimmung in Schweden weiter an. Pro-palästinensische Organisationen und Künstler fordern lautstark, Israel von dem Wettbewerb auszuschließen. Die jüdische Gemeinde rechnet mit dem Schlimmsten.

Nach einem auch für schwedische Verhältnisse langen Winter ist die Sonne endlich zurückgekommen. Leute spazieren wieder an den Strandpromenaden in Malmö entlang und überall in der Stadt ist etwas los. Denn die Welt ist nach Malmö gekommen: Zum Eurovision Song Contest erwarten die Organisatoren rund 100.000 Besucher. Der große Volkspark im Herzen der Stadt wurde in das „Eurovision Village“ verwandelt, ein Treffpunkt zum Feiern und Tanzen.

Doch nicht alle Einwohner teilen die Begeisterung. In den Fenstern beliebter Cafés hängen seit Wochen Plakate, die zum Boykott des ESC aufrufen. Pro-palästinensische Organisationen machen in den Sozialen Medien Stimmung gegen die Veranstaltung und planen mehrere Großdemonstrationen.

Die Botschaft: Israel begehe einen Völkermord in Gaza und sollte von dem Musikwettbewerb ausgeschlossen werden. Auch Tausende schwedische Künstler, vom Hip-Hop-Star bis zur Opernsängerin, haben sich der Forderung angeschlossen. Der Veranstalter des Wettbewerbs, die Europäische Rundfunkunion, hat einen Ausschluss Israels zwar konsequent abgelehnt.

Doch die 20-jährige Eda Golan, die das Land mit dem Lied „Hurricane“ repräsentiert, wird auf den Straßen von Malmö eine Mauer der Ablehnung erwarten. „Es herrscht ein allgemeines Gefühl der Unsicherheit. Man hat das Gefühl, in seiner eigenen Stadt nicht willkommen zu sein“, sagt Daniel Janouch, Vorsitzender des Jüdischen Jugendverbands. „Ich kenne mehrere Juden, die Malmö während des ESC verlassen wollen.“

Antisemitische Verbrechen sprunghaft angestiegen

Seit dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober und dem Krieg in Gaza ist der Antisemitismus in der schwedischen Stadt eskaliert. Kurz nach dem Hamas-Anschlag fuhren Palästinenser mit Autos durch Malmö, schwenkten palästinensische Fahnen und skandierten Slogans wie „Intifada“ und „Zionismus vernichten“.

Vor der Synagoge in Malmö wurde die israelische Flagge verbrannt, Schulen berichten von antisemitischen Graffitis auf Schließfächer und Hitlergrüßen im Klassenzimmer. Laut einem Bericht des Nationalen Rates für Kriminalprävention ist die Zahl der antisemitisch motivierten Hassverbrechen in diesem Herbst sprunghaft angestiegen.

In einer Umfrage des Zentralrats der Juden in Schweden gaben drei von vier Befragten an, sie hätten Angst, jüdische Symbole offen zu tragen. Jeder Zweite denkt darüber nach, das Land zu verlassen. Die Terrorgefahr in Schweden liegt schon seit den Koran-Verbrennungen im vergangenen Jahr bei Stufe vier von fünf.

Und jetzt verschärft der ESC die angespannte Sicherheitslage weiter. Der israelische Sender Channel 12 schickt im Vorfeld des Wettbewerbs ein Fernsehteam nach Malmö, um über die antisemitische Stimmung in der Stadt zu berichten. Bei einer pro-palästinensischen Demonstration griff ein Mann das Fernsehteam an, schnappte sich die Kamera und bespuckte die Journalisten.

Jüdische Gemeinde rechnet mit dem Schlimmsten

Die Polizei bereitet sich seit Monaten auf den Einsatz während des ESC vor. „Wir werden die ganze Woche über einen enormen Einsatz mit vielen Polizeibeamten haben, nicht nur an den Veranstaltungsorten, sondern in ganz Malmö“, sagt Jimmy Modin, Pressesprecher der Polizei. Verstärkung wurde aus ganz Schweden sowie aus Norwegen und Dänemark angefordert.

Rund um das Veranstaltungsgelände werden Sicherheitskontrollen errichtet; Taschen sind verboten. Sorgen machen müsse man sich als Besucher nicht, meint Modin, „aber wie immer ist es gut, wachsam zu sein. Wir können nie ganz ausschließen, dass etwas passieren könnte.“

Auch die jüdische Gemeinde in Malmö verfolgt die Lage mit Sorge und ist auf das Schlimmste vorbereitet. Vor dem ESC hat eine Gruppe von Juden darauf gedrängt, dass der Jüdische Zentralrat Israel zum Rückzug auffordert – wegen der feindlichen Atmosphäre.

„Dass der ESC in Malmö stattfindet, findet in jüdischen Kreisen keinen guten Anklang“, sagte der Ratsvorsitzende Aron Verständig der schwedischen Zeitung „Expressen“. „Aber zu kapitulieren und zu sagen, dass Israel nicht dorthin gehen sollte, halte ich nicht für den richtigen Weg.“

Dass Malmö einmal mit ausuferndem Antisemitismus zu kämpfen haben würde, war lange nicht abzusehen. Vor etwas mehr als 80 Jahren, im Herbst 1943, flohen mehr als 7.000 Juden vor den Nazibesatzern in Dänemark nach Schweden. Zu dieser Zeit war Malmö mit Sicherheit nicht frei von Antisemitismus.

Aber die Stadt, in der die Juden ankamen, war eine andere als heute. Damals war Malmö eine Arbeiterstadt mit einer der größten Werften der Welt. Jahrzehnte später, nachdem viele Industriebetriebe in der Wirtschaftskrise schließen mussten, etablierte sich die Stadt als multikulturelle Universitätsstadt neu.

Rückschlag für Kampf gegen Antisemitismus

Seit den 1990er-Jahren sind viele Einwanderer nach Malmö gekommen, die vorerst letzte große Welle in den Jahren 2015 und 2016. Innerhalb der letzten 20 Jahre ist die Bevölkerung von 262.000 auf 362.000 Einwohner gewachsen. Heutzutage ist jeder dritte Einwohner im Ausland geboren, mehr als die Hälfte hat mindestens einen zugewanderten Elternteil.

Viele Palästinenser in Malmö haben Verwandte im Gazastreifen oder im Westjordanland und sind daher unmittelbar vom Krieg betroffen. Andere muslimische Einwohner haben antisemitische Überzeugungen aus ihren Heimatländern mitgebracht.

Bis zum 7. Oktober war der Kampf gegen den Antisemitismus in Malmö durchaus erfolgreich. Seit 2020 gibt es eine Zusammenarbeit zwischen der Stadt und der jüdischen Gemeinde mit dem Ziel, das jüdische Leben zu stärken, und in den Schulen gibt es Koordinatoren, die sich gegen Antisemitismus einsetzen.

Eine besonders anerkannte Initiative ist der Verein Amanah, der durch Veranstaltungen in Synagogen und Moscheen friedliche Kontakte zwischen Juden und Muslimen fördert. Doch nach dem Überfall der Hamas wurde die Arbeit von Amanah auf Eis gelegt.

Trotz der Rückschläge sieht Daniel Janouch einen Hoffnungsschimmer. Er fühle sich von der derzeitigen Regierung sehr stark unterstützt. Ministerpräsident Ulf Kristersson etwa hatte kurz nach dem Terroranschlag seine Unterstützung für Israel zum Ausdruck gebracht.

Die jüdische Bevölkerung Malmös schrumpft zwar seit langem – von rund 3000 Menschen in den 1970er-Jahren auf heute 1500. Doch jetzt gebe es zum ersten Mal seit langer Zeit kleine Anzeichen für eine Trendwende, meint Janouch. „Die Juden in Malmö sind eine sehr stolze und starke Gruppe. Sie werden nicht zulassen, dass was nach dem 7. Oktober passiert ist, sie kaputtmacht“, sagt er.

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