NOSTALGIE ALS ATTRAKTION

Zirkus

Nostalgie als Attraktion

Der Circus Gebrüder Barelli hat sich von Grund auf erneuert. Gleichzeitig setzt er auf Tradition – und verzichtet auf Tiere in der Manege. Deutschlandpremiere feiert er in Frankfurt.

Eine Hupe tönt vom Frankfurter Ostpark herüber. „Da kommt er“, ruft Ramona Spindler. Wenige Minuten später rumpelt ein Laster auf den Festplatz am Ratsweg, drinnen sitzt Timmy Barelli, hintendran hängt ein hübscher Zirkuswagen, mit Holzverkleidung, kleiner Veranda, gedrechseltem, bunt lackiertem Geländer und rautenförmigen Zierspiegelchen. Wie aus einer anderen Zeit, einer anderen Welt.

Timmy Barelli parkt das Gespann und steigt aus. „Jetzt haben wir den Zirkus“, sagt er und lacht. Seit Anfang der Woche läuft der Aufbau auf dem Gelände, wo kürzlich noch die Dippemess tobte. Nach und nach rollen die Fahrzeuge mit dem Equipment an, um die 60 an der Zahl, der logistische Aufwand erscheint enorm. Die Zirkuswagen, Oldtimer, Sattelschlepper, Tieflader kommen größtenteils aus der Nähe von Marburg, wo der Circus Gebrüder Barelli sein Winterquartier hat. Frankfurt ist die erste Station des komplett neu aufgestellten, neu sanierten, neu erfundenen Unternehmens, das dabei auf Altes setzt, auf Nostalgie, auf Historie, auf Zirkustradition im besten Bilderbuchsinn.

„Das war immer sein Traum“, sagt Ramona Spindler über ihren Bruder Timmy Barelli. „Er wollte mit eigenen Händen seinen eigenen Zirkus bauen.“ Nun hat er seinen Traum wahrgemacht. Drei Jahre lang hat er rund 20 historische Zirkuswagen restauriert und rekonstruiert, alles in Eigenregie mit viel Herzblut, Liebe zum Detail und mit Hilfe der ganzen Familie, inklusive der Kinder. „Die Familie ist wichtig, ohne sie geht so was nicht“, sagt der Zirkusdirektor. „Alle müssen mitziehen.“

Die drei 47, 46 und 35 Jahre alten Geschwister Ramona, Timmy und Franz stammen aus einer wahren Zirkusdynastie. Henry und Rolina Spindler, so der bürgerliche Name ihrer Eltern, die beide bereits in die Welt der Manege hineingeboren wurden, gründeten 1985 den Circus Barelli, der sich laut Eigenwerbung zu einem „der schönsten und größten Zirkusunternehmen in ganz Europa“ entwickelte und in Deutschland einst an zweiter Stelle rangiert habe, direkt nach dem Circus Krone – der seinerseits beansprucht, der größte Zirkus der Welt zu sein. „Wir standen einmal ganz an der Spitze“, sagt Ramona Spindler. Bis mehrere „Schicksalsschläge“ zum jähen Absturz führten. Am schlimmsten traf die Familie der Tod von Mutter Rolina im Jahr 2014. „Mit ihr ist die Seele des Circus Barelli gestorben.“

Der Vater zog sich zurück, die Geschwister Spindler-Barelli behielten die alten Zirkuswagen und einige Tiere. Ramona und Franz heuerten bei anderen Zirkussen an, Timmy und seine Frau Salima Folco, Enkelin des berühmten Zirkusdirektors Franz Althoff, tourten mit eigenen Projekten durch die Republik. 2018 formierte sich die Idee, gemeinsam einen neuen Zirkus zu gründen, was im Frühjahr 2019 unter dem Namen Circus Gebrüder Barelli auch geschah. Die erste Saison lief gut, 2020 wollten sie erneut auf Tour gehen. „Es war schon alles plakatiert“, erinnert sich Ramona Spindler, „Doch dann kam Corona, und die Welt stand still.“

Nicht aber Timmy Barelli. „Jetzt baue ich mir meinen Zirkus“, habe er gesagt. So erzählt es seine Schwester, die selbst Artistin ist, sich aber fortan mit Bruder Franz Barelli um Management, Organisation und Finanzierung kümmerte. Timmy Barelli begann, für den „schönsten Zirkus des Universums“ alte Zirkuswagen zu restaurieren. Gattin Salima packte mit an, ebenso ein langjähriger Weggefährte, der Artist Edi Laforte. Ihn zu erwähnen, ist Timmy wichtig. Das Corona-Hilfsprogramm „Neustart Kultur“ half ein wenig, vor allem aber spielten Zufall und Glück mit.

Die Premiere

Der Circus Gebrüder Barelli feiert am Samstag, 4. Mai, Deutschlandpremiere in Frankfurt und eröffnet seine Tour mit einer Nachmittagsvorstellung um 15 Uhr und einer großen Galapremiere um 20 Uhr. Bis zum 20. Mai gastiert er auf dem Festplatz am Ratsweg.

Vorstellungen gibt es täglich um 15 Uhr und 20 Uhr, an Sonn- und Feiertagen um 15 Uhr und 19 Uhr, an Pfingstmontag, 20. Mai, um 11 Uhr und 15 Uhr. Am Montag, 6. Mai, ist Ruhetag.

Das rollende Zirkusmuseum ist während der Gastspielzeit täglich von 11 bis 19 Uhr geöffnet.

Weitere Stationen in der Region sind vom 29. Mai bis 16. Juni Darmstadt und vom 19. Dezember bis 12. Januar 2025 Gießen. Außerdem gastiert der Zirkus in Koblenz, Tübingen und Böblingen.

Karten kosten zwischen 30 und 45 Euro für Erwachsene und 25 bis 40 Euro für Kinder. Sie können über die Ticketportale Eventim und Reservix erworben werden sowie an der Zirkuskasse, die täglich von 11 bis 13 Uhr und eine Stunde vor Beginn der Vorstellung geöffnet ist. myk

www.gebrueder-barelli.de

Denn auch ohne Viruspandemie sind es keine einfachen Zeiten für traditionelle Zirkusse, vor allem dann nicht, wenn sie Wildtiere wie Tiger oder Elefanten, aber auch andere Tiere im Programm haben. Im Visier der Kritik stand einst auch der alte Circus Barelli, die Tierschutzorganisation Peta listet diverse Verstöße auf ihrer Website. Bemerkenswert ist, dass in fast sämtlichen EU-Staaten Wildtiere im Zirkus verboten sind – außer in Deutschland, beklagt der Deutsche Tierschutzbund, der sich seit Jahrzehnten „gegen die Quälerei in der Manege“ einsetzt. Lediglich einzelne Kommunen haben bislang diesbezügliche Verbote erlassen. Vorreiterin war das hessische Rodgau, das 2021 als erste deutsche Kommune beschloss, keine Flächen mehr an Zirkusse mit Tiernummern zu vergeben. Ein Referentenentwurf für das neue Tierschutzgesetz sieht nun eine bundesweite Reform vor.

Auch in diesem Punkt wagt der Circus Gebrüder Barelli einen Neuanfang. „Wir haben zwar noch Tiere, hauptsächlich Pferde und Kamele“, sagt Ramona Spindler. „Aber sie treten nicht mehr in der Manege auf.“ Keine Exoten zu präsentieren, darauf seien sie stolz. Der Circus Roncalli, der seit 1991 auf Tiernummern verzichtet, sei immer „der Zirkus meiner Träume“ gewesen, sagt Timmy Barelli. Während andere Betriebe sich neu und modern umgerüstet hätten, „wollte ich die alten Sachen wiederbeleben“.

Jeder der 20 historischen Zirkuswagen erzählt eine eigene Geschichte. Zum Beispiel der 120 Jahre alte Wohnwagen, den einst die Traditionsfirma Mack für Schausteller auf dem Münchner Oktoberfest gebaut hat. Irgendwann sei ein Bauer an ihn geraten, der Bienenstöcke hineingesetzt habe, berichtet Timmy Barelli. Bis ins Detail hat er das halb verrottete Vehikel wieder hergestellt, sogar die Fensterscheiben mit den eingeschliffenen Ornamenten. Oder der Bürowagen, mit dem der Direktor auf den Festplatz gefahren ist. Innen ist er mit antiken Möbeln bestückt, mit samtbezogenen Sesseln und opulentem Schreibtisch, die Decke schmückt ein den Fresken der Sixtinischen Kapelle nachempfundenes Gemälde. Gleichzeitig sei er mit modernster Büro- und Kommunikationstechnik ausgestattet.

Mit mehreren Oldtimern – einem Feuerwehrauto, Traktoren, Kleinlaster, Kutschen – bilden die Oberlicht- und Schindelwagen das „Rollende Circusmuseum“. Ausgestellt werden dort außerdem alte Uniformen und Kostüme, Drehorgeln, Perdegeschirre und mehr. Das meiste gehört zum Familienfundus, andere Exponate wurden von befreundeten Zirkussen zur Verfügung gestellt.

Eine riesige Attraktion ist natürlich das nagelneue Zelt, das nach Entwürfen von Timmy Barelli in Italien gefertigt wurde und Platz bietet für 1200 Gäste. Es ist klassisch rot-weiß, 25 Meter hoch – und hochmodern. Am Donnerstag wird es das allererste Mal aufgebaut, viele extra dafür engagierte Arbeiter sind auf dem Festplatz zugange. Sobald das Zelt steht, geht es los mit den Proben für das etwa zweieinhalbstündige Programm mit dem Titel „Eine Reise um die Welt“. Internationale Künstler:innen zeigen ihr Können: Es gibt Artistik und Akrobatik jedweder Couleur, Jonglage, fliegende Menschen am Trapez, Clownerie und Magie. Dazu spielt live ein neunköpfiges Zirkusorchester, ein fünf Meter großer Zeppelin soll über den Köpfen des Publikums kreisen. „Fließende Übergänge“ zwischen den Nummern verspricht der Direktor.

Er sei durchaus aufgeregt wegen der großen Premiere, gibt er zu und greift sich ans Herz. Doch warum fiel die Wahl dafür ausgerechnet auf Frankfurt? „Frankfurt ist eine Zirkusstadt“, meint Ramona Spindler. „Frankfurt ist eine Weltstadt“, ergänzt ihr Bruder. Und damit bestens geeignet für „Eine Reise um die Welt“.

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