WIE WERDE ICH GLüCKLICH?

Es ist wirklich nicht leicht, in diesen Zeiten beschwingt in die Zukunft zu blicken und daran zu glauben, dass vieles gut werden wird. Die Polykrise, dieses geballte Auftreten mehrerer Großkrisen – Klimakrise, Inflation, Krieg in der Ukraine, ein eskalierender Nahostkonflikt – raubt selbst überzeugten Optimisten ihren Optimismus. Als das Kölner Rheingold Institut im vergangenen Jahr Menschen zur Zukunft befragte, gaben 73 Prozent an, sie hätten das Gefühl, „dass unsere Politiker keine Ahnung haben von dem, was sie tun“.

Endlich Lösungen für die Probleme unserer Zeit wünschten sich 86 Prozent, und 59 Prozent fühlten sich angesichts der Weltlage überfordert. Dass sich knapp siebzig Prozent der Studienteilnehmer ins Private zurückziehen, in eine Art Hygge-Abschottung flüchten, und nur noch etwa die Hälfte der Befragten einigermaßen zuversichtlich in die Zukunft blickt, überraschte kaum.

Zu diesem düsteren Bild gesellte sich kürzlich auch noch die Veröffentlichung des World Happiness Reports. Die glücklichsten Menschen leben demnach in Finnland, und man fragt sich, wie das angesichts des oft garstigen Wetters dort überhaupt möglich sein kann. Deutschland rutschte jedenfalls deutlich ab, von Platz 16 auf Platz 24 und ist damit zum ersten Mal in der mehr als zehnjährigen Geschichte des Glücks­reports nicht mehr in den Top 20 vertreten. Doch damit nicht genug: Laut Bundesinstitut für Bevöl­kerungsforschung ist die Geburtenrate in Deutschland mit durchschnittlich 1,36 Kindern pro Frau auf den niedrigsten Wert seit 2009 gefallen. Als Erklärung führen die Experten aus Wiesbaden die Krisen ins Feld, die Frauen offenbar große Angst machen: Corona-Pandemie, Klimawandel, Kriege. Droht Deutschland also ein Land der Schwarzseher zu werden?

Das Unglück der Deutschen

Es wäre, und das ist die erste gute Nachricht, trotz der entmutigenden Umfrageergebnisse des Rheingold Instituts, trotz des World Happiness Reports und der niedrigen Geburtenrate zu einfach, diese Frage mit Ja zu beantworten. Der Mensch versucht schließlich, sich irgendwie zu behaupten. Und stünde es um die Stimmung hierzulande tatsächlich derart dramatisch, dann begegnete man wohl nicht Menschen wie Anja Wienand, die die Frankfurter Bahnhofsmission leitet und deren Geschichte in Studien nicht auftaucht. Wienand ist Mitte fünfzig und seit zweieinhalb Jahren verantwortlich für einen Ort, der für viele Menschen überlebensnotwendig ist. Ein Schutzraum, der jeden willkommen heißt.

An diesem Tag sitzen drei Frauen mit müden Gesichtern zusammen und umklammern ihre Kaffeetassen, am Eingang stehen ein paar Männer und unterhalten sich, es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Die Stimmung ist heiter, die Probleme sind oft groß, aber Anja Wienand sagt lächelnd: „Wir versuchen, den Menschen, die zu uns kommen, Hoffnung zu geben.“ Und es sind sehr viele Menschen, die täglich kommen, vierhundert, fünfhundert, darunter einige Stammgäste. Dieser Andrang wäre ohne die vierzig ehrenamt­lichen Helfer unmöglich zu bewältigen.

Anja Wienand nennt die Hilfesuchenden, die oft obdachlos sind, Suchtprobleme haben, die häufig Crack und andere Drogen nehmen und denen das Schicksal übel mitgespielt hat, nicht Problemfälle, sondern Gäste. Sie sagt „unsere Gäste“. Damit setzt sie einen Ton der Wert­schätzung und des Respekts. „Wir verurteilen niemanden, wir fragen nicht nach der Vorgeschichte der Menschen, und wenn ein Gast per Haftbefehl gesucht wird, weil er zum Beispiel zu häufig schwarzgefahren ist und die Strafe nicht bezahlen kann, dann rufen wir nicht die Polizei.“

Sehnsucht nach dem jüngeren Ich

Wienand hört zu, wenn jemand sprechen möchte, Rat braucht, Hilfe. Die einen kommen nur, um zu duschen und einen Kaffee zu trinken, andere sehnen sich nach sozialen Kontakten. Einmal kam eine junge Frau, die lediglich eine Steckdose brauchte, um ihr Smartphone aufzuladen, ein anderes Mal bat ein Mann um eine Fahrkarte, dessen Geldbeutel im Auto lag, das wiederum in einer verschlossenen Tiefgarage stand.

Jeder Tag sei anders, sagt Wienand, jeder Tag sei eine Herausforderung. Heute, am frühen Morgen zum Beispiel, hat eine geflüchtete Frau aus der Ukraine, die mit ihren sieben Kindern dem russischen Angriffskrieg entkommen konnte, das Team der Bahnhofsmission um Hilfe gebeten. Anfang der Woche kam eine ältere, psychisch erkrankte Dame, die es aus der Ferne geradezu magnetisch nach Frankfurt zieht, als könne sie in dieser Stadt doch noch ihr Glück finden. Jedes Mal ruft Anja Wienand dann den Betreuer der Dame an, orga­nisiert die Rückfahrt und spricht ihr gut zu. Wienand glaubt, dass sich im Kopf der Frau die Idee verfestigt hat, in Frankfurt gewissermaßen als ihr jüngeres Ich wiedergeboren zu werden.

Bevor Wienand die Leitung der Frankfurter Bahnhofsmission übernahm, war sie beim Bayerischen Roten Kreuz tätig, sie hat im Katastrophenschutz und in der akuten Krisenintervention gearbeitet. Tod und Leid sind Anja Wienand vertraut. Sie sagt: „Ich weiß, wie schnell sich das Leben ändern kann.“ Für die Arbeit in der Bahnhofsmission gilt: „Wir dürfen immer mitfühlen, aber nicht mitleiden.“ Einmal pro Monat steht deshalb für jeden Mitarbeiter eine verpflichtende Super­vision im Kalender, die auch jene absolvieren müssen, die sagen, „aber es geht mir doch richtig gut!“. Denn natürlich tut es weh, wenn eine obdachlose Frau davon erzähle, wie stolz sie auf ihre Kinder sei – Kinder, die den Kontakt zu ihr abgebrochen haben.

Weiterhin zuversichtlich

Das Unglück ihrer Gäste hat Anja Wienands Zuversicht nicht geschmälert. Wie könnte sie ihren Gästen ohne Zuversicht auch Hoffnung geben? „Das Leben ist so toll, und wir haben nur das eine Leben, und ich kann es gestalten.“ Ihre Familie, die Spaziergänge im Wald mit dem Hund, sie sagt, sie habe gelernt, das Leben punktuell sehr zu genießen. Wenn sie spricht, ist ein Lächeln nie weit. Aber jetzt muss Anja Wienand wieder los, zu ihren Gästen, die sie brauchen.

Vor Kurzem ist der neue Roman von der Schriftstellerin Deniz Ohde bei Suhrkamp erschienen, ihr zweiter, der den Titel „Ich stelle mich schlafend“ trägt. Die Autorin, Jahrgang 1988, war mit ihrem Debüt „Streulicht“ eine kleine literarische Sensation gelungen, ein Text, der Kritiker, Jurys und Publikum gleichermaßen begeistert hat und 2020 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand. In „Ich stelle mich schlafend“ geht es um das Aufwachsen der Protagonistin Yasemin, um das Hineinfinden in den eigenen Körper, um Scham, Grenzüberschreitungen und um eine toxische Beziehung. Ohde sagt, sie trage die Idee zu diesem Roman schon seit zehn Jahren in sich und mit sich herum, es sei eine Art inneres Bedürfnis gewesen, ihn zu Papier zu bringen. Mit dem großen Erfolg von „Streulicht“ ist ihr Traum, eine erfolgreiche Schriftstellerin zu sein, wahr geworden, was nicht heißt, dass die Zweifel, die Mühen und das Hadern beim Schreiben verschwunden wären. Ohde sagt: „Manchmal muss ich mich ermahnen, dran zu glauben, dass ich den Text auch fertig bekomme. Die Schwierigkeit mit der Zuversicht besteht gar nicht darin, ob der Text am Ende jemanden interessiert oder nicht, sondern ob ich den Text so schreiben kann, wie ich vorhabe, ihn zu schreiben. Dafür brauche ich einen Grundopti­mismus, auch an Tagen, wo ich das Gefühl habe, ich komme im Moment nicht weiter.“

Ausflüge ins Dunkle

Was ihr dabei hilft, auch während einer Schreibkrise diese Zuversicht zu behalten, sind lange Spaziergänge im Park. Es bringe ja nichts, verbissen am Schreibtisch sitzen zu bleiben. Klar lasse sie sich auch manchmal zum „Doomscrolling“ verleiten, erliegt der Faszination für Untergangsszenarien, aber sie setzt dieser Art des Nachrichtenkonsums Grenzen. Genau genommen sind es seltene Ausflüge ins Dunkle. Es bringe nichts, panisch im Kreis zu rennen. Ohde hört morgens die Nachrichten im Radio. Sie sagt: „Die Zuversicht, einen Text zu Ende zu schreiben, mit dem Leben weiterzumachen ist ja immer eine Art irrationale Zuversicht. Aber alles andere wäre Hoffnungslosigkeit.“ Der Mensch brauche etwas zu tun! Einen Sinn. Das Schreiben hat für Ohde nichts mit einer Flucht in eine literarische Ge­genwelt zu tun, sie setze sich in ihren Texten ja mit Missständen auseinander. Für den Roman „Ich stelle mich schlafend“ hat sie zum Beispiel intensiv zum Thema Femizide recherchiert und diese Recherche ist in den Text geflossen.

Deniz Ohde tut es gut, mit Freunden zu reden, zu lachen, im Jetzt zu sein, sich auf einzelne Momente zu konzentrieren, und wenn man über Zufriedenheit, Zuversicht oder gar Glück nachdenkt, dann sind das ziemlich wichtige Bausteine. In dem Baum vor ihrem Fenster hat sie ein kleines Futtersilo gehängt und beobachtet jeden Morgen, wie die Meisen angeflogen kommen und sich ihre Sonnenblumenkerne holen. Während in dieser Welt all die schlimmen Dinge passierten, von de­nen man täglich liest und hört, geschehe eben auch das Schöne. Es sind die vermeintlich kleinen Dinge, die einen Un­terschied machen, nur muss man sie wahrnehmen, um das zu erkennen.

Jan Delhey weiß um die Macht des Moments. Ein Naturerlebnis, ei­ne elektrisierende Begegnung, Musik – das kurze Glück kommt oft unverhofft. Als Soziologe und Glücksforscher der Universität Magdeburg weiß Delhey allerdings auch, dass nicht ein einzelner Faktor wie Reichtum Glück verheißt, sondern dass vielmehr das Zusammenspiel verschiedener Einflussgrößen entscheidend ist. Er bringt es auf die Formel „Haben, Lieben, Sein“. Das Haben steht für den Lebensstandard. Wer sich jeden Tag darum sorgen muss, wie er am Monatsende seine Miete bezahlt, kann noch so viele Freunde haben, er wird nicht zufrieden oder gar glücklich sein.

Die Säulen des Glücks

Niemand ist eine Insel. Die zweite Säule der Glücksformel ist deshalb die Liebe, starke emotionale Bindungen, die uns Halt geben. Und schließlich das Sein. Delhey sagt: „Beim Sein spielt der Beruf ein Rolle. Füllt er uns aus? Aber auch Hobbys sind wichtig, sowie die Frage, wie gut wir uns in der Gesellschaft verankert fühlen.“ Man müsse nicht in jeder Kategorie spitze sein, sagt Delhey, es reiche auch ein mittleres Einkommen, und es müssen auch nicht fünfzehn enge Freunde sein.

Delhey und seine Kollegen beobachten in letzter Zeit, dass die Antworten bei der Frage, „wie bewerte ich mein eigenes Leben und wie zuversichtlich bin ich hinsichtlich der gesellschaftlichen Entwicklung“ immer deutlicher auseinanderklaffen. „Bislang galt, dass die mit ihrem Leben zufriedenen Menschen auch erwarten, dass sich die Gesellschaft in Richtung Fortschritt entwickelt. Das ist heute nicht mehr so. Mehr Leute haben das Gefühl, dass die Gesellschaft insgesamt nicht mehr gut funktioniert.“ Der Grundoptimismus sei wegen der vielen einander überlagernden Krisen, die Deutschland viel stärker als frühere Krisen wie zum Beispiel die Finanzkrise betreffen, verloren gegangen. „Die Zufriedenheit der Menschen mit ihrem eigenen Leben ist im Moment noch auf einem hohen Niveau. Zugenommen haben in den vergangenen Jahren negative Emotionen wie Traurigkeit und Wut, und zwar in fast allen Weltregionen.“

Jan Delhey bezeichnet sich selbst als zufriedenen Menschen, auch wenn die negativen Nachrichten ihn nicht kaltlassen. Ein Rückzug ins Private kommt für Delhey trotzdem nicht infrage, aber er meidet seit jeher die sozialen Medien, diese emotionalen Erhitzungsmaschinen, die nicht die Debatte, sondern den Streit beflügeln.

Der Augenblick zählt

Geht man in eine Buchhandlung oder einen Zeitschriftenladen, wird man mit einem Angebot an Ratgebern und glücksverheißenden Blättern konfrontiert, dass einen schwindelig macht. Die Zeitschrift „Happinez“ zum Beispiel bringt ihren Lesern unter anderem die japanische Lebenskunst Ichigo-ichie näher. Es geht bei dieser Kunst darum, die „Einzigartigkeit jedes Augenblicks schät­zen zu lernen und so ein Leben voll wunderbarer Erlebnisse zu erschaffen“. Dagegen ist erst einmal nichts einzuwenden, im Gegenteil, denn sich von einzelnen Momenten überwältigen lassen zu können ist eben ein Baustein der Zufriedenheit. Das Problem ist, dass all diese Bücher und Blätter suggerieren, Glück sei eine innere Einstellung. Wer es wirklich will, der schafft es durch harte Arbeit an sich selbst auch, glücklich zu sein. Nach diesem Glückskonzept wäre die alleinerziehende Mutter, die unter ihren Sorgen und finanziellen Nöten schier erdrückt wird, selbst schuld, dass sich das Glück nicht einstellt. Delhey sagt: „Viele dieser Glücksratgeber zielen nur darauf ab, den eigenen Gefühlshaushalt zu manipulieren. Als Soziologe würde ich immer sagen: Man muss versuchen, etwas an der Situation zu ändern, wenn man unzufrieden ist.“ Delhey fragt sich auch, wie authentisch das Glück eigentlich ist, wenn man sich selbst ständig in Richtung Glücksempfinden manipuliert.

Der Neurobiologe Gerhard Roth wies in einem Interview auf den Unterschied zwischen Glücksgefühlen und Zufriedenheit im Leben hin. Beide, so Roth, werden in unterschiedlichen neurobio­lo­gischen Systemen verarbeitet. Zufriedenheit sei eine Lebenshaltung, die sich schon in der Kindheit andeute, ein Persönlichkeitsmerkmal, dass über das Leben hinweg relativ stabil bleibe. Glück hingegen sei das kurzfristige Ergebnis ei­nes Belohnungsprozesses im Gehirn. Eine starke Wirkung erzielen bekanntlich Drogen, Sex und Geld, mit dem Nachteil, dass ihre Intensität schnell abnimmt und immer wieder überboten werden muss. Roth sagt, es gebe nur eine Art von Glück, die nie langweilig wird: das intrinsische Glück, also die Fähigkeit, aus sich selbst heraus Freude zu empfinden, sich mitreißen zu lassen von einer Auf­gabe, die einen erfüllt.

Man kann sich jedoch auch von der Freude anderer mitreißen lassen. So beschreibt der „Warm-Glow-Effekt“ das schöne Gefühl, das Großzügigkeit in uns auslöst. Wissenschaftler der Universität Zürich haben in einer Studie festgestellt, dass großzügige Menschen glücklicher sind, als jene, die aus reinem Selbstinteresse handeln.

Die Probanden mussten bei dem Versuch eine Entscheidung für oder gegen großzügiges Verhalten treffen – und die Aktivität in den drei Gehirnarealen wurde gemessen. Bereits das Versprechen, sich großzügig zu verhalten, habe den al­truistischen Bereich im Gehirn aktiviert und die Interaktion zwischen diesem und dem Bereich, der für Glücksempfinden zuständig ist, verstärkt, so Philippe Tobler, der federführend an der Studie beteiligt gewesen ist. Es sei bemerkenswert, dass bereits der reine Vorsatz eine neu­ronale Veränderung erzeugt, bevor dieser überhaupt in die Tat umgesetzt werde.

Noch befriedigender ist es allerdings, solche Gedankenspiele auch in die Tat umzusetzen. Denn auf diese Weise färbt nicht nur das Glück der anderen auf ei­nen selbst ab, vielleicht stellt sich ja auch die Zuversicht ein, dass die Zukunft doch ein bisschen heller leuchtet, als man befürchtet.

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