DINNER-SHOW IN BERLIN: THE GRAND BIETET DIE VIELLEICHT BESTE ERLEBNIS-GASTRONOMIE DER STADT

Eine Tanzeinlage zwischen dem ersten und dem zweiten Gang, vor dem Dessert noch eine Bühnenzugabe. Akrobaten, die über Speisende hinwegfliegen, und Speisen, die unter den Kunststücken der Akrobaten serviert werden. Essen und gucken, gucken und essen: Wann und wo genau das angefangen hat mit den Dinnershows – einer performativen Variante der Erlebnisgastronomie –, ist nicht ganz klar. Fest steht: In unserer Stadt isst und guckt man schon sehr lange gern gleichzeitig.

Seit den 1920ern gehören Dinnershows fest zum Berliner Vergnügungsrepertoire. Nehmen wir nur das „Haus Vaterland“, damals betrieben durch das Unternehmen Kempinski: Im August 1928 am Potsdamer Platz eröffnet, galt es schnell als der modernste und mondänste Amüsiertempel der Welt.

Gleich mehrere Themenrestaurants – einen Wild-West-Saloon gab es ebenso wie ein japanisches Teehaus, eine spanische Bodega und ein türkisches Café – luden die vergnügungssüchtigen Berlinerinnen und Berliner zum ausschweifenden Verweilen ein. Vorgeführt wurden gewagte Varietés und klassische Orchesterstücke; das Essen aller Restaurants kam aus einer zentralen Großküche, gekocht mithilfe der damals größten Gaskochanlage der Welt.

Zur regelrechten Legende wurde nicht nur das integrierte, marmorvertäfelte Café Piccadilly, in dem bis tief in die Nacht hinein Livebands aufspielten. Eine echte Sensation war auch das Restaurant Rheinterrasse, in dessen nachgebauter Rheintal-Landschaft zu jeder Stunde Wetterumschwünge simuliert wurden – über die staunenden Gäste brachen dann Donnergrollen und Blitzlichtgewitter herein. „Im Haus Vaterland isst man gründlich, hier gewittert’s stündlich“, hieß es damals fein gereimt.

Den Krieg konnte das „Haus Vaterland“ nicht überleben. Und auch alle Versuche, den Großbetrieb zu DDR-Zeiten wieder aufzunehmen – die Gebäuderuine mit dem einst so üppigen Kuppelbau lag mitten im Niemandsland zwischen Ost und West –, scheiterten. Was nicht bedeutet, dass die DDR nicht ganz eigene Konzepte der Erlebnisgastronomie hervorgebracht hätte.

Ab 1966 etwa überraschte das HO-Restaurant Waffenschmied in Suhl seine Gäste mit japanischen Themenabenden, an denen – kein Scherz – Sushi als Beilage zu Thüringer Klößen serviert wurde. Und über die Gaststätte Acksel in Großräschen hieß es noch Ende der Sechziger in einem Zeitungsartikel: „Verrückte Abende samt internationaler Küche mit üppiger Dekoration, prächtigen Kostümen und teils frivoler Note“.

Heute mögen solche Konzepte ein wenig aus der Zeit gefallen sein. „Dinnershow“ – das weckt bei vielen ungute Assoziationen zu mäßigen Menüs, zwischen deren Gängen fahrige Zauberkünstler ordentlich ihre Tricks vergeigen oder Comedykünstler den Gästen peinliche Pointen aufzwingen. Doch im Restaurant The Grand in Mitte wird das Konzept des Abendessens mit Showeinlage aktuell äußerst erfolgreich wiederbelebt.

Die neue Show „Bump ’n’ Grand“ in einer oberen Etage des Restaurants in der Hirtenstraße ist als wilder Mix aus Burlesque-Auftritten international renommierter Tänzerinnen und Tänzer, wirklich lustiger, weil überaus bissiger Comedy-Einlagen und Beiträgen queerer Künstlerinnen und Künstler konzipiert. Nach einem rauschenden Auftakt mit einem ekstatischen Publikum, das zur ersten Ausgabe im März kaum an sich halten konnte, geht die Reihe am kommenden Wochenende in ihre zweite Runde.

Essen und gucken – das müssen dabei nicht alle Gäste tun. „Bump ’n’ Grand“ ist anders als andere Dinnershows kein Gesamtpaket, bei dem Besucherinnen und Besucher zu einem meist verhältnismäßig hohen Preis beides zusammen buchen müssen. Stattdessen lässt sich ein Abendessen im Restaurant in der unteren Etage individuell reservieren und um ein Ticket für die Aufführungen in der oberen Etage ergänzen – oder die Gäste entscheiden sich allein für die Show, für die es günstige Karten auch ohne Essen gibt.

Im März lief das ungefähr so: Während einige Gäste erst mal gepflegt zu Abend aßen – Menüvorschlag: Dreierlei Hors d’œuvre wie Jakobsmuscheln und Tatar von Rind oder Lachs vorweg, zur Hauptspeise ein butterweiches Pommersches Dry Aged Filet mit jungen Möhrchen, grünem Spargel und Sauce périgueux, gefolgt von einem Schokoladentörtchen mit weichem Kern und Schlagsahne – und sich danach in den kleinen Bühnenraum nach oben begaben, warteten dort schon zahlreiche andere Gäste auf das Programm; der Abend, der in einer ausgelassenen Aftershow-Party gipfelte, war beinahe ausgebucht.

Damals führte Scott Grabell, ein unverschämt witziger Varieté-Künstler im blauen Kaninchenkostüm, durch einen Abend mit Burlesque-Auftritten und modernen Adaptionen der klassischen Schwertschluckerei. Am 11. Mai wartet The Grand mit der Australierin Bettie Bombshell auf, einer der bekanntesten Burlesque-Performerinnen der Welt. Und mit der Kanadierin Força sowie der Berlinerin Luna Tiktok haben sich abermals queere Acts angemeldet, die die Grenzen des Genres spielerisch ausloten.

Was das Angebot des Restaurants so ansprechend macht, ist vor allem die Zwanglosigkeit. Zum einen eben, was die optionale Kombination aus Dinner und Show angeht, zum anderen auch, was die wirklich ausgelassene Stimmung an einem solchen Abend betrifft. Die einzelnen Auftritte sind mit zehn bis 15 Minuten von einer angenehmen moderaten Länge – zwischen den Acts gibt es immer wieder längere Pausen, die sich wunderbar in einer der hauseigenen Bars verbringen lassen.

Eine passende Garderobe der Gäste – Dresscode: „dress to impress“ – wird zwar empfohlen, aber nicht zur albernen Pflicht. Unser Rat: Unbedingt mal ausprobieren!

Bump 'n' Grand im The Grand. Hirtenstraße 4, 10178 Berlin. Samstag, 11. Mai ab 21 Uhr, der Einlass beginnt eine Stunde vor Showbeginn. Die nächsten Ausgaben der Show finden dann am 14. September und 9. November statt, Tickets für je 22 Euro sind über www.ticketsource.eu zu bestellen; ein Tisch im Restaurant lässt sich zusätzlich über dessen Webseite www.the-grand-berlin.com reservieren.

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