GROßE DELEGATION ERNTET KLEINE FRüCHTE

China-Besuch

Große Delegation erntet kleine Früchte

Der Kanzler reist mit drei Minister:innen und vielen Wirtschaftsleuten nach China – die Zusagen fallen minimal aus.

Am Ufer des Jiangling-Flusses in der Millionen-Metropole Chongqing steht ein Tisch mit allerlei Gerät. Bei näherem Hinsehen: kleine Plastikschalen, ein schwarzer Apparat, Pipetten. Vor der Kulisse der Wolkenkratzer der wohl größten Stadt der Welt wirkt das wie die Inszenierung für ein absurdes Theaterstück.

Von rechts betritt Kanzler Olaf Scholz die Szene. Er ist blass und schaut mürrisch. Reisen nach Fernost schlauchen, wenn man nachmittags losfliegt, die Zeitverschiebung Schlaf klaut, und am nächsten Morgen das Programm startet. Wenn man dann noch auf dem Flug nach China vom Angriff Irans auf Israel erfährt, lächelt man bei öffentlichen Terminen lieber nicht. Wer weiß, wie sich die Lage zuspitzt. Wenn der Nahe Osten brennt, dürfen jedenfalls keine Bilder eines heiteren deutschen Kanzlers um die Welt gehen und die Frage hervorrufen: Was macht der Mann eigentlich am Ufer des Jiangling-Flusses?

Er hört sich Erläuterungen zu einem Forschungsprojekt an, das die Universität Chongqing gemeinsam mit Sachsen betreibt. Es geht um das Reinigen von Flusswasser. Scholz lässt die naturwissenschaftlichen Ausführungen weitgehend teilnahmslos über sich ergehen. In Gedanken wird er beim Nahost-Krieg sein. Er muss sich mit seinem Kabinett abstimmen und am Abend mit den anderen Staats- und Regierungschefs der G7 die Lage besprechen.

Nach der wenig spektakulären Darbietung zur Wasserreinigung lässt der Kanzler die anschließende Bootsfahrt auf dem zu reinigenden Fluss ausfallen. Am Vormittag hatte er bereits den Stadtrundgang gestrichen. Gemeinsam mit seinen Beratern überlegte er, wie man mit der großen Reise angesichts der Nachricht aus Nahost umgehen soll. Abbrechen? Unterbrechen? Am Ende stand: durchziehen. Nur die touristischen Termine werden vorerst gestrichen.

An Bord des Ausflugsschiffs ist so nur die begleitende Wirtschaftsdelegation, die Bosse großer deutscher Unternehmen. Unter anderem Bayer und BASF, ThyssenKrupp und Carl Zeiss, BMW und Mercedes gehören zur Begleitung der Kanzlerreise. Von De-Risking, also mehr Unabhängigkeit der deutschen Industrie vom China-Geschäft, wie es die offizielle Strategie der Bundesregierung vorsieht, wollen sie nichts hören.

Sie möchten investieren und ihre Erwartung an den Kanzler ist, ihnen einen verlässlichen Zugang zum chinesischen Markt zu verschaffen. „Level playing field“ ist das Stichwort. Scholz sagt das auch dauernd. Er lebt den Teil der China-Strategie, den das Kanzleramt verfasst hat, und der die Überschrift „Partnerschaft“ trägt. Den Begriff vom „systemischen Rivalen“ Chinas hatten die Grünen in den Koalitionsvertrag und die China-Strategie verhandelt.

In der lauen Abendluft auf dem Jiangling-Fluss, auf dem sich die bunten Lichter des abendlichen Lebens der quirligen Industrie-Metropole spiegeln, kann man mit dieser politischen Kategorie wenig anfangen. Deutschland ist international größter Investor in China – Chemie, Maschinenbau, Autoindustrie. Rund 5200 deutsche Unternehmen sind im Reich der Mitte aktiv.

Die Geschäfte sind aber kein Selbstläufer. Sie brauchen eine politische Grundlage. Wie die aus Sicht der Chinesen aussehen kann, sagt Präsident Xi in seinem Auftaktstatement vor dem Vier-Augen-Gespräch mit Scholz in Peking. „Solange man an den Prinzipien des gegenseitigen Respekts, Suche nach Gemeinsamkeiten trotz Differenzen und des gegenseitigen Lernens festhält, können sich die bilateralen Beziehungen stabil entwickeln.“ Damit erklärt Xi durch die Blume, die Deutschen mögen bitte nicht so viel über Menschenrechte und Meinungsfreiheit sprechen, dann laufen auch die Geschäfte.

Scholz weiß um das Erfolgsrezept der deutschen Wirtschaft: Import und Export. Er will den deutschen Unternehmen Investments ermöglichen und sieht auch keinen Anlass, den europäischen Markt vor chinesischen E-Autos zu schützen, wie es EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorschwebt. Die deutsche Autoindustrie freut sich über die Haltung des Kanzlers. Man sei bereit, sich dem Wettbewerb zu stellen. Schließlich fahren auf den großen Straßen der chinesischen Millionenstädte viele deutsche Autos. Und es sollen mehr werden für die 1,4 Milliarden Menschen. Den Job des Kanzlers sehen die Wirtschaftschefs darin, bei Xi klare Regeln und faire Marktzugänge zu sichern.

Wie Scholz das in Peking argumentieren möchte, skizziert er schon am zweiten Tag der Reise in der Tongji Universität vor Studierenden. Verlässlichkeit und klare Regeln seien gut für die Wirtschaft eines Landes, doziert der Kanzler. Am dritten und letzten Tag der Reise muss er in Peking dann auch Xi selbst von dieser Theorie überzeugen. Es ist nicht das einzige dicke Brett, das der Kanzler in der chinesischen Hauptstadt zu bohren hat. Denn vor fairen Marktzugängen braucht es vor allem eine verlässliche internationale Friedensordnung.

Vor dem Vier-Augen-Gespräch mit dem chinesischen Präsidenten sendet der Kanzler einen Appell: „Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sowie die Aufrüstung Russlands haben ganz erhebliche negative Auswirkungen auf die Sicherheit in Europa.“ Mit der Erwähnung der Aufrüstung Russlands gibt der Kanzler zumindest einen Fingerzeig auf den immer wieder von den USA geäußerten Verdacht, China unterstütze Russland mit Bauteilen für Waffen, Drohnen und vielleicht auch direkt mit Waffenlieferungen. Im nicht-öffentlichen Teil des Gesprächs wird Scholz noch deutlicher und fordert von Xi, auf Russland einzuwirken den Krieg zu beenden.

Der Kanzler nennt zudem den Klimaschutz und den Handel nach den Regeln der Welthandelsorganisation WTO als gemeinsame Ziele. Die Menschenrechtsfrage spart er in seinem öffentlichen Auftritt mit Xi aus. Erst am Nachmittag in der Pressebegegnung mit Ministerpräsident Li Qiang wird Scholz einmal das deutsche Lieferkettengesetz und dessen Bedeutung für die Menschenrechte erwähnen.

Nach ihren Auftaktstatements trinken sie gemeinsam Tee nach chinesischem Zeremoniell, zunächst in größerer Runde mit der Delegation. Die Gesprächsatmosphäre ist aufgeräumt. Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine sagt Xi, alle Länder müssten am Tisch Platz haben – keines dürfe auf der Speisekarte stehen. Scholz dürfte Xi darauf hingewiesen haben, dass die Ukraine nur eine Chance hat, ihren Platz am Tisch zu behalten, wenn China keine Waffen und waffenfähigen Teile nach Russland liefert.

Xi wiederum könnte mit seiner Speisekarten-Metapher auch Russland gemeint haben, das zu einer internationalen Friedenskonferenz in der Schweiz im Frühsommer nicht eingeladen ist. Ein Vier-Augen-Gespräch von Xi und Scholz dauert 45 Minuten, ein wenig länger als geplant.

Danach verbreitet die chinesische Seite eine Erklärung, die mit der Bundesregierung abgestimmt ist. Darin heißt es, China und Deutschland seien in der „Ukraine-Krise“ den Grundsätzen der UN-Charta verpflichtet, inklusive der Wahrung der Souveränität und territorialen Integrität. Man würde gemeinsam dazu aufrufen, sich dem Einsatz oder der Androhung des Einsatzes von Atomwaffen zu widersetzen. China und Deutschland wollten sich zudem über künftige Friedenskonferenzen abstimmen. Diese Willensbekundungen sind ein Schritt nach vorne. Es sind aber noch viele Fragen offen.

Eine gemeinsame Pressekonferenz wie sonst nach internationalen Begegnungen üblich findet nicht statt. Die Fragen der deutschen Presse nach für China kritischen Punkten wären nach dortigen Maßstäben ein direkter Angriff auf den Präsidenten. Auch beim späteren Auftritt von Scholz und Ministerpräsident Li vor den Journalist:innen sind keine Fragen zugelassen.

Die chinesische Staatsführung behält die Kontrolle über jedes Detail. Li empfängt den Kanzler am Nachmittag auf dem Tiananmen-Platz vor der Großen Halle des Volkes mit militärischen Ehren, rotem Teppich und Salutschüssen. Dabei dient der Nachmittag vor allem den Arbeitstreffen. Die deutsche Wirtschaftsdelegation hat die Gelegenheit, Geschäfte anzubahnen, während Scholz und Li mit an der langen dunkelgrün eingedeckten Tafel sitzen. Solche Treffen sind für die deutsche Wirtschaft wichtige Türöffner in dem großen Land mit seinen vielen undurchdringlichen Regeln.

Am Ende erntet man gemeinsam ein paar niedrig hängende Früchte. Die Bundesminister:innen für Verkehr, Volker Wissing (FDP), Umwelt, Steffi Lemke, und Landwirtschaft, Cem Özdemir (beide Grüne), waren angereist, um ihre Themen zu vertreten. Die Ergebnisse sind bescheiden: Unterzeichnet werden kurz vor dem Abflug zurück nach Deutschland ein Aktionsplan (für Umweltschutz und zur Vermeidung von Plastikmüll), eine Absichtserklärung (über automatisiertes Fahren) sowie ein Abkommen, das den Import von deutschem Rindfleisch und deutschen Äpfeln nach China regelt. Äpfel gegen Birnen: In seinem Statement erwähnt Li die zusätzlichen Importmöglichkeiten für die Lebensmittel aus Deutschland und mahnt im Gegenzug weniger Beschränkungen für chinesische Hightech-Produkte in Deutschland an.

Was fehlt, ist eine ursprünglich angestrebte Vereinbarung, dass Deutschland wieder mehr Schweinefleisch nach China liefern darf. Seit dem Ausbruch der Schweinepest in Deutschland ist der chinesische Markt für deutsche Halter:innen weitgehend dicht. Den deutschen Produzierenden bleibt damit ein attraktives Geschäft vorenthalten: Die Menschen in China essen inzwischen mehr Schweinefleisch pro Kopf als die Deutschen.

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