ART BASEL IN HONGKONG: DAS TOR ZUM OSTEN BLEIBT OFFEN

Es ist noch nicht viele Jahre her, dass der chinesische IT-Pionier Jack Ma, damals Asiens reichster Mann, Seite an Seite mit seinem Landsmann Zeng Fanzhi durch den soeben für die VIP-Kundschaft eröffneten Hongkonger Ableger der Kunstmesse Art Basel flanierte. Zengs monumentales Gemälde „The Last Supper“ hatte kurz zuvor bei seiner Auktion durch So­theby’s in Hongkong mit 13 Millionen Dollar den Rekord für das teuerste je versteigerte Bild eines lebenden Künstlers aus China aufgestellt.

Wenig später geriet der politisch aufmüpfige Ma mit der herrschenden Kommunistischen Partei Chinas aneinander, verschwand aufgrund eines gegen ihn laufenden Geheimverfahrens zwei Jahre aus der Öffentlichkeit und verlor die Kontrolle über seinen E-Commerce-Konzern Alibaba. Zeng, dessen im „Letzten Abendmahl“ abgebildete grinsende Gesichter einer reich, aber auch zynisch gewordenen chinesischen Gesellschaft den Spiegel vorhalten, hat sich mittlerweile vom gesellschaftskritischen Malstil verabschiedet und auf die politisch neutrale Abstraktion verlegt. Von kaum jemandem erkannt, schlenderte der Starmaler dieses Jahr ohne seinen alten Bekannten durch die eben eröffnete Art Basel Hong Kong. Ma ist inzwischen zwar wieder im Geschäft, wurde auf der Messe aber nicht gesichtet.

Schmerzhafter Transformationsprozess

Zwischen den zwei VIP-Vernissagen hat sich die Welt und damit auch der Hongkonger Kunstmarkt verändert. Chinas lange boomende Wirtschaft befindet sich in einem schmerzhaften und politisch riskanten Strukturanpassungsprozess. Zugleich sind mit dem Aufstieg von Präsident Xi Jinping zum mächtigsten Mann des bevölkerungsreichsten Landes der Erde seit Mao Tse-tung noch vor einigen Jahren bestehende gesellschaftliche Freiräume eingeschränkt worden. Die geopolitische Rivalität zwischen China und den USA hat sich verschärft, was sich in einem allgemeinen Misstrauen ausdrückt. All das ist in Hongkong zu spüren. Die wirtschaftlich autonome ehemalige britische Kronkolonie ist mit ihrem Freihafen, einer frei konvertierbaren Währung und niedrigen Steuern der Ort, an dem Ost und West sich am nächsten kommen. Für Johnson Chang, der mit seiner Hanart TZ Gallery vor vier Jahrzehnten als einer der Ersten chinesische Gegenwartskunst im Ausland bekannt machte, ist klar, dass sich vermeintlich überwundene ideologische Gräben wieder geöffnet haben.

Doch Hongkong bleibt Asiens wichtigste Drehscheibe des globalen Kunsthandels. Das beweisen etwa die zwei Auktionshäuser Christie’s und Sotheby’s, die gerade dabei sind, ihre Präsenz in der Stadt auszubauen. Auch die Art Basel mit 242 internationalen Galerien setzt weiterhin auf das chinesische Territorium. „Hongkongs Position als kulturelles Herz Asiens und als Tor zum asiatischen Markt bleibt unangefochten“, sagt Noah Horowitz, CEO der Art Basel.

Achtsamkeit nach Paragraph 23

Der Zeitpunkt der diesjährigen Messe steht allerdings unter einem nicht ganz glücklichen Stern. Am 23. März trat als Folge der Massenproteste von 2019 ein neues Sicherheitsgesetz in Kraft, das unter anderem für Straftaten wie Spionage oder ausländische Einmischung in interne Angelegenheiten die Höchststrafe von bis zu lebenslanger Haft vorsieht. Auch für den Besitz aufrührerischer Schriften sieht der vom lokalen Parlament unter Druck Pekings durchgedrückte Paragraph 23 drastische Strafen vor. Die Regierungen Taiwans, Australiens sowie Großbritanniens rieten daraufhin ihren Bürgern, in Hongkong besonders achtsam zu sein. Nach Einschätzung des Risikoberaters Steve Vickers haben sich damit auch für in Hongkong tätige Unternehmen die politischen Risiken vergrößert. „Wir sind alle nervös“, sagte der ehemalige Chef der Hongkonger Kriminalpolizei. Es komme darauf an, wie der neue Paragraph angewandt werde.

Auf der Messe überschattet die Frage den Kunsthandel, obwohl es in Hongkong auch weiterhin keine formale Zensur gibt. Explizit politische Kunst bezieht sich auf der Art Basel auf nicht chinesische Themen, beispielsweise die Installation „White Lies“ am Stand der philippinischen Galerie Silverlens. Die Arbeit von Patricia Perez Eustaquio beschäftigt sich mit der amerikanischen Kolonialherrschaft über die Philippinen und dem Rassendünkel in westlichen Gesellschaften.

Dekorativ anmutende Werke dominieren. In früheren Ausgaben der Messe war Provokantes zu sehen: 2017 präsentierte die Hongkonger Osage-Galerie im zen­tralen Ausstellungsbereich die Installation „Summit“ des chinesischen Bildhauers Shen Shaomin mit lebensgroßen Wachsfiguren von auf ihren Totenbetten liegenden Revolutionären, darunter Mao Tse-tung, Wladimir Lenin und Fidel Castro. Einen gewissen Mut zeigt in diesem Jahr die Galerie des amerikanischen Kunsthändlers Larry Gagosian. In der Hongkonger Niederlassung hängt an prominenter Stelle Warhols „Mao“ mit feminin anmutenden roten Lippen in der Schau „Andy Warhol’s Long Shadow“.

Die lokale Kunstszene profitiert

Die Verkäufe auf der Messe scheinen punktuellen Nachfragen bei Galerien zufolge in den ersten beiden Tagen eher durchwachsen gewesen zu sein. Das könnte mit der wirtschaftlichen Abkühlung in China zu tun haben, aber auch mit weniger zahlreich angereister Kundschaft aus den USA, Europa oder Australien. Andre Lee, Besitzer der aus Taipeh stammenden Galerie Mind Set Art Center, meldet ein geringeres Interesse an taiwanischer Kunst als im Vorjahr, als vor allem chinesische Kunden nach den langen Covid-Beschränkungen zugriffen. Von einem etwas verhalteneren Käuferinteresse spricht auch Lorenz Helbling, der mit ShangART seit 1996 in Schanghai präsent ist.

Anders die aus London kommende Galerie White Cube, die gleich am ersten Messetag Werke von Georg Baselitz und der Japanerin Yayoi Kusama für jeweils siebenstellige Dollar-Summen vermittelte. Zufrieden zeigt sich auch Fiona Römer von Hauser & Wirth: Schon in den ersten Stunden nach Eröffnung hätten bei ihr Bilder von Willem de Koo­ning und Philip Guston im Wert von jeweils über acht Millionen Dollar den Besitzer gewechselt.

Dass gerade Werke arrivierter westlicher Maler Käufer gefunden haben, dürfte kein Zufall sein. „Das obere Preissegment ist meist wenig von der aktuellen Weltlage betroffen“, sagt die Hongkonger Kunstkritikerin Enid Tsui. Angesichts des angespannten innenpolitischen Klimas dürfte dagegen die kämpferische jüngere Hongkonger Kunstszene vor härteren Zeiten stehen. Einen gewissen Schutz dürfte sie dabei ironischerweise von der lokalen Regierung erhalten, investiert diese doch zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts nicht nur massiv in kreative Industrien, sondern versucht durch finanzielle Anreize auch den internationalen Kunsthandel in der Stadt zu halten. „Diese Strategie kann längerfristig nur aufgehen, wenn der Staat der lokalen Kultur und damit auch dem Kunsthandel einen gewissen Freiraum einräumt“, sagt der Kunstkritiker John Batten.

Art Basel Hong Kong, Convention & Exhibition Centre, Hongkong, bis 30. März, Eintritt umgerechnet etwa 80 Euro

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